Mein Leben als Mensch — 24.03.2023

829_Endlich wieder unter Menschen

Es macht schon Freude, dass man wieder richtig reisen darf. Auf diese Weise begegnet man seinen Mitmenschen und wird Zeuge des unglaublichen Wunders der Schöpfung. Das besteht für mich auch darin, dass die Menschheit einfach nicht ausstirbt, obwohl sie im Alltag viel dafür tut. Letzte Woche zum Beispiel sah ich einer Frau beim Schmelzen zu. Das war im Flugzeug zwischen München und Hamburg.
Sie kam spät an Bord und hatte einen Koffer, eine üppige Reisetasche sowie eine phänomenale Handtasche dabei. Die Gepäckablagen waren voll und die Dame zeterte los, dies käme nur daher, dass manche Leute mit drei Handgepäckstücken an Bord kämen. Dann versuchte sie, fremde Taschen aus der Ablage zu ziehen, um ihre drei Handgepäckstücke dort unterzubringen. Eine Stewardess kam und erklärte der Frau, dass sie ihr Gepäck unter den Vordersitz schieben müsse. Das klappte so mittelgut. Sie stand dann mit den Füßen auf ihrem Koffer. Außerdem musste sie ihre riesige Daunenjacke anbehalten und legte die Reise- und die Handtasche auf ihrem Schoß ab. Dabei meckerte sie weiter, aber man hörte sie nicht mehr so gut, weil ihr Gepäck viel Schall schluckte. Das Flugzeug musste eine Dreiviertelstunde auf den Start warten und flog eine Stunde nach Hamburg. Nach der Landung war die Frau weg. Geschmolzen in ihrer Jacke, unter der es sicher neunzig Grad hatte.
Später im Hotel der ewige Kampf mit dem Ablaufventil. Manche Hoteliers lieben es, die Gäste mit komplizierten Mechanismen in Atem zu halten. Die Ventile sind immer geschlossen, wenn man zum ersten Mal ins Bad kommt. Und sie bleiben es manchmal auch, weil ich nicht herausfinde, wie man sie öffnet. Das scheint wirklich ein Steckenpferdchen in der Hotelbranche zu sein. Genau wie die Marotte des opulenten Licht-Orchesters. Egal, auf welchen Lichtschalter man drückt, irgendwo leuchtet immer noch was. Vermutlich soll dem Übernachtungsabenteuer auf diese Weise ein Aufregungs-Krönchen verliehen werden.
Der Frühstücksraum des Hotels war voll, was mich überraschte, weil es sich um ein riesiges Haus handelte. Lange Schlange am Lachs, enorme Wartezeit am Kaffee-Vollautomat. Ein Kellner kam, um Milch nachzufüllen für die vielen Latte Macchiatos, die dort gezapft wurden. Ich fragte ihn, wie viel Liter Milch sie dort an einem Morgen in ihren Maschinen verbrauchten und er sagte, das seien so vierzig bis sechzig Liter. Pro Gerät.
Als ich an meinen Tisch zurückkehrte, saßen dort drei Herren, nämlich Harald, Norbert und Klaus. Die Drei stellten sich vor und erzählten, sie seien wegen der Internorga in Hamburg, einer Messe fürs Hotelgewerbe und die Gastronomie. Viele Aussteller seien hier im Hotel abgestiegen, was bedeute, dass dort eigentlich auch Messe sei. Harald zeigte dann ganz aufgeregt auf seinem Handy ein Video von einem Gerät, welches er auf der Internorga zu verkaufen suchte. Es handelte sich dabei um einen Pancake-Automat für Frühstücksbuffets. Im Film platschte ein Teigbatzen - einem Kuhfladen nicht unähnlich - auf eine Art Fließband und glitt dann durch den Backkanal, wie Harald stolz erklärte. An dessen Ende purzelte der Pancake auf einen sich drehenden Teller. Servierfertig, wie Harald jubelte.
Auch Norbert war ein Kurier deutschen Erfindergeistes. Er verkaufte nämlich den ersten Duschvorhang, der sich nicht auf übergriffige Art und Weise um die nassen Körper von darüber schockierten Hotelgästen schmiegt. Norbert sagte, er wisse nicht, warum das funktioniere, aber die Testergebnisse seien euphorisierend und seine Firma stehe seit 1971 für Duschkompetenz. Der Kollege Klaus hatte nichts zu verkaufen. Er sei im Host-Improving und biete intelligente Lösungen für Probleme im Beherbergungsbereich. Er sei auf der Messe, um nach Input zu suchen. Dem Mann konnte geholfen werden. Ich sagte ihm, dass ich Hotels mit abfließendem Wasser wolle und ein verbessertes Lighting Management, damit ich nicht eine Viertelstunde brauche, um das Licht auszumachen.
Harald sah mich ganz erstaunt an. Dann holte er sein Handy raus und tippte in seine Notizen. Dabei murmelte er: „Lichtschalter. Und Wasser muss ablaufen“. Er bedankte sich sehr und sagte, der Messetag finge ja schon super an. Dann holte er sich einen Latte Macchiato.

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