Mein Leben als Mensch — 19.10.2009

133-Die Maiskörnchentaktik

Mit Gänseblümchen als Köder kann man keinen Karpfen fangen. Tatsächlich hatte ich die Blume genau deswegen an Nicks Rute befestigt. Ich wollte nämlich auf keinen Fall einen Karpfen angeln, ich will keinem Fischlein an den schuppigen Kragen und vor allem: Was soll ich mit einem Karpfen?
Diese Taktik war zunächst aufgegangen, dann aber doch nicht, denn mein Schwiegervater Antonio versprach meinem Sohn, es besser zu machen. Gänseblümchen. Pah! Ich sei ein dummer Salat und er habe seine Methoden und wir würden schon sehen.
Antonio weckte mich also um 5.30 Uhr, denn „nur dä Fruhwurm fangte eine Fisch.“ Er selbst war bereits eine halbe Stunde zuvor aufgestanden, um im Garten nach Fruhwurmen Ausschau zu halten. Er hielt eine kleine Dose in der Hand, in der sich bedauernswerte Geschöpfe kringelten. Auch Kaffee hatte er schon gebrüht, einen ordentlichen Schwimmer für die Angel gebastelt und Gewichte angebracht. Unsere Angel sah fast echt aus.
Nick, Antonio und ich marschierten also zum Weiher und Antonio erklärte, zum Anfüttern habe er Paniermehl dabei und Maiskörner für den Haken, eine todsichere Methode sei das.
Wir setzten uns ans Ufer und Antonio streute das Mehl ins Wasser. Er legte den Zeigefinger vor den Mund und wir schwiegen fast eine ganze Minute. Dann fummelte er mit einem Maiskorn am Haken herum und warf die Angel aus. Nick beobachtete jede Regung seines Großvaters mit andächtiger Neugier. Antonio goss sich einen Kaffee ein und blickte aufs Wasser.
„Und was machen wir jetzt?“ fragte Nick.
„Nu warten auffe die große Fischda. Der iste dadrin und bekommte Lust auf eine prima colazione unde peng haben wir der Bursch.“
Dann geschah nichts weiter, es war allerdings bemerkenswert kühl. Und langweilig. Plötzlich griff Antonio die Angel und behauptete, es habe sich etwas bewegt. Er hampelte eine Weile mit der Angel am Ufer herum, schrie auf italienisch den Tümpel an und riss dann Schnur, Pose und Haken aus dem Wasser. Letzterer war leer.
„Dä Kerle iste entewitscht, Dä iste nikte blöde,“ rief Antonio und machte sich abermals am Haken zu schaffen. Dabei sah ich, dass er den Mais keineswegs befestigte, sondern in seiner Hosentasche verschwinden ließ. Nick bekam nichts davon mit. Antonio warf die Angel wieder aus, setzte sich und erzählte Nick von einem ungeheuren Karpfen, größer als Nick sei der gewesen und doppelt so schwer. Und er, Antonio habe ihn 1962 unter größten Anstrengungen gedrillt und besiegt.
„Opa, was machen wir, wenn wir den Karpfen an der Angel haben?“
„Wir ollene ihn raus, dann make wir Peng mit der Knuppel gegen der Kopp und aus iste.“
Da bekam Nick Angst. Das war ihm nicht klar gewesen. Man zieht den Haken aus dem Maul, dann erschlägt man das hilflose Wirbeltier. Nick flehte um Gnade für den Karpfen, aber Antonio ließ sich auf keine Diskussionen ein. Er werde dem Fisch eigenhändig die Leber entfernen, ließ er wissen. Zum Glück biss niemand an, was weder mich noch Antonio wunderte, Nick aber über eine Stunde lang in höchster Spannung hielt.
Auf dem Heimweg war mein Sohn sehr erleichtert. Es war aufregend gewesen, viel aufregender als mit mir und meinem sinnlosen Gänseblümchen.
„Ich habe genau gesehen, dass kein Köder dran war,“ flüsterte ich Antonio zu.
Er antwortete, dass es nicht darauf ankäme, etwas zu fangen, sondern dass es nur um das Angeln an sich ginge. Und das Nick mit seiner Maiskörnchen-Taktik einen großen Angeltag erlebt habe. „Immer fare una bella figura,“ flüsterte er mir zu. Man kann eine Menge von den Italienern lernen, finde ich.