250_Sparen ohne Zinsen
Hammerthema zum Jahresbeginn: Gesunde Ernährung. In diesem Zusammenhang liest man immer von „purzelnden Pfunden.“ Die purzelnden Pfunde sind so etwas Ähnliches wie „der lachende Geldbeutel“ und „das beschädigte Amt,“ bei dem ich mir immer vorstelle, ein Lastwagen sei in die Fassade des Finanzamtes Wolfratshausen gekracht. Wenn Journalisten Zeit sparen wollen, kommen derartige Wortstanzen zum Einsatz. Und Journalisten wollen oft Zeit sparen. Alle wollen ständig Zeit sparen.
Der Umstand, dass 2012 ein Schaltjahr ist, also vierundzwanzig Stunden geschenkte Zeit enthält, die sich im Kalender in den vergangenen vier Jahren angespart haben, führt leider nicht dazu, dass ein Weltfaulheitstag eingerichtet wird. Das wäre toll. Die ganze Menschheit bleibt einen Tag lang bräsig im Bett und schaut aus Langeweile im Internet nach, was der Immobilienmarkt in Großburgwedel so treibt. Da gibt es gerade für 585000 Euro ein „traumhaftes Landhaus mit lichtdurchfluteten Räumen und großer Terrasse.“ Fassade in Klinkeroptik, drei Badezimmer, Garage, Kamin, Weinkeller. Alles tippitoppi. Aber wer will schon in Großburgwedel wohnen?
Egal. Vermutlich werden die Menschen auch in diesem Jahr ihre gesparte Zeit nicht für Müßiggang ausgeben, sondern eisern weitersparen. Manchmal bekommt man den Eindruck, es ginge überhaupt nur um Zeitersparnis. In der Werbung habe ich das Produkt eines Eiernudelherstellers gesehen: Pasta im Kochbeutel. Fertig in nur drei Minuten anstatt in acht oder neun. Was man mit diesen neun Minuten anfängt? Käse reiben, Tisch decken und Häuser in Großburgwedel googeln.
Gesparte Zeit löst sich also in Luft auf, man hat gar nichts davon. Das wurde mir neulich klar. Da lernte ich am Flughafen Düsseldorf einen Manager mit Senator-Status kennen. Wir saßen am Gate und kamen über die Verspätung des Abflugs ins Gespräch. Der Vielflieger behauptete, diese Verzögerungen seien geschenkte Zeit. Schließlich könne er den Abflug nicht beeinflussen und es bleibe ihm nichts übrig als sich mit den überschüssigen Minuten abzufinden. Er habe inzwischen gelernt, solche „time-slots“ zum bewussten Atmen zu nutzen. Dann erzählte er, dass er immer möglichst weit vorne am Gang sitzen wolle, damit er nach der Landung rascher aus dem Flugzeug käme.
Er sei weiter in der Lage, Klamotten für eine Woche mit sich zu führen ohne einen Koffer aufgeben zu müssen, was noch einmal Zeit spare. Er habe am Flughafen durch Schrittzählen herausgefunden, welcher Parkplatz in welchem Parkhaus und Parkdeck am meisten Zeitersparnis bringe. Er rechnete mir vor, dass er bei einem normalen Flug nach Düsseldorf und zurück gegenüber einem Nichtexperten wie mir locker dreißig Minuten oder mehr heraushole. Dann saß er eine Weile stumm neben mir und dachte nach. Schließlich sagte er: „Wissen Sie was das Komische daran ist?“ Ich zuckte mit den Schultern und er fuhr fort. „Das Komische daran ist: Ich spare wahnsinnig viel Zeit und bin viel früher zuhause als Andere. Dabei will ich überhaupt nicht nach Hause.“
Man sollte den armen Herrn mal für einen Monat zu den Amundawa schicken. So heißt ein winziges Volk, welches im Amazonas-Regenwald lebt und überhaupt erst seit 25 Jahren bekannt ist. Die Amundawa besitzen keine Kalender und keine Uhren, sie haben überhaupt keinen Begriff von Zeit, wissen ihr Geburtsdatum nicht und können sich nicht zuverlässig für nächsten Samstag verabreden, weil sie nicht wissen, wann das ist. Sie zählen grundsätzlich nur bis vier und nachts ist, wenn die Sonne nicht mehr scheint. Ein Wort für Zeit haben sie nicht und deshalb können sie auch keine sparen. Das ist sehr romantisch.
Meine Tochter hat soeben die Anschaffung einer Fritteuse angemahnt. Ihr Hauptargument: Man könne damit Zeit sparen. Es ist die Zeit, die wir uns dafür nehmen, die Kinder gesund zu ernähren. Was ich mit der gesparten Zeit machen solle, fragte ich Carla. „Weiß nicht,“ antwortete sie. „Du kannst dann länger arbeiten.“ Ich mag es, dass sie sich so um mich sorgt.