Mein Leben als Mensch — 06.03.2012

257_Monti Marcipane

Für viele Frauen stellt die Ehe ein Umerziehungslager dar. Sobald ein Mann dort eingecheckt hat, gehen sie daran, ihm schlechte Gewohnheiten abzugewöhnen und ihn wunschgemäß zu konditionieren. Tatsächlich funktioniert das fast nie. Männer werden im Verlaufe einer Ehe dicker, ruhiger und älter anstatt dünner, aufregender und jünger. Da Männer derartige Illusionen in Bezug auf ihre Frauen gar nicht erst entwickeln, wollen sie die Frauen auch nicht anders haben als zu Beginn der Ehe, sondern für immer genau so. Wenn Frauen überhaupt mal mit der Umerziehung Erfolg haben, gefällt ihnen das Ergebnis auch nicht und sie stellen empört fest, dass das da nicht mehr der Mann ist, den sie einst geheiratet haben.
Meine Schwiegermutter Ursula dachte über dieses Thema bisher nie nach. Sie ist mit einem Italiener verheiratet, seit über vierzig Jahren. Sie hat nie den Versuch unternommen, ihn zu ändern, weil sie seine Unzulänglichkeiten für genetisch programmiert hielt. Doch dann kam jüngst Mario Monti in Italien an die Regierung. Er machte ihr Hoffnung als er ein Interview gab, demzufolge ein radikaler Umbau Italiens nicht nur nötig, sondern auch möglich sei. Das stimmte sie nachdenklich und eines Morgens vor drei Wochen suchte sie das Gespräch mit Antonio Marcipane, während er einen Schuhkarton durchwühlte, um die Quittung für den Toaster zu finden. Er hatte seine nassen Socken hineingesteckt und damit einen Kurzschluss verursacht. Nun wollte er das Gerät zurückbringen und auf Garantie umtauschen lassen.
Ursula fasste sich ein Herz und sagte: „Antonio, ich finde, Du musst Dich ändern.“ Er verstand sie nicht gleich, war aber sofort beleidigt. Er ist ein sehr eleganter Mann, immer gut parfümiert und rasiert. Er trägt Cordjackets mit ledernen Ellbogen und darunter dunkelgrüne Pullover. Er kämmt sich täglich die Haare und würde niemals in schmutzigen Schuhen das Haus verlassen. Kurz: Er sieht keinerlei Änderungsbedarf. Aber Ursula meinte ja auch keine Äußerlichkeiten.
Sie hielt ihm vor, dass er die falschen Vorbilder habe. Zum Beispiel diesen obszönen Berlusconi, bei dessen Anblick in Zeitung oder Fernsehen Antonio jahrelang gekichert hat. Meistens krönte er seine Begeisterung in dem er sagte: „Dä iste ein Teufelekerl von ein Imbroglione.“ Ein Imbroglione ist ein Gauner. Ursula fügte hinzu, dass mit Berlusconis Abgang und der Regierungsübernahme durch Monti nun auch in ihrem Reihenhaus Reformen zu gelten hätten. Dann trug sie ihrem verdutzten Gemahl einen Katalog von neuen Gesetzen vor. Sie hat ihn mir vorher gemailt, weil ich beurteilen sollte, ob er zu streng ist. Ich finde ihn sehr angemessen.
Die Hausordnung bei den reformierten Marcipanes sieht zehn Punkte vor. Erstens: Niemand fasst sich auf der Straße in den Schritt, wenn ein Leichenwagen vorbei fährt. Zweitens: Nicht alle Deutschen werden mit Nachnamen „Kartoffeledinge“ genannt. Drittens: Der Zeigefinger zeigt nicht rhythmisch auf den Gesprächspartner. Viertens: Rote Ampeln sind keine unverbindlichen Empfehlungen. Fünftens: Einbahnstraßen auch nicht. Sechstens: Der Fisch kommt nicht in die Mülltonne der Nachbarn. Siebtens: Wir lösen in der Straßenbahn Tickets und wir beherrschen Deutsch, wenn der Kontrolleur sie sehen will. Achtens: Wir markieren keinen Herzinfarkt, um beim Arzt schneller an die Reihe zu kommen. Neuntens: Wolfgang Joop ist nicht der verstoßene Neffe von Giorgio Armani. Zehntens: Es werden bei Vollmond keine Arien im Garten gesungen.
Ursula überließ ihm die Liste und er las sie sorgfältig durch. Dann fragte er, was bei Regelverstößen geschehe, aber Ursula zog nur die Augenbrauen hoch und er spürte, dass sie es ernst meinte. Gestern telefonierte ich mit Ursula und fragte, wie es läuft. Sie sagte, dass Toni sich bisher an alles halte. Gerade das sei jedoch unerträglich. Und so langweilig. Er mache das offenbar mit Absicht, manchmal höre sie ihn heimlich kichern. Und dann sagte sie völlig enttäuscht: „Das ist nicht mehr der Mann, den ich geheiratet habe.“ Hoppla, das ging ja schnell. Ich gebe ihren Monti-Reformen noch maximal zwei Wochen. Oder eine. Wer will schon einen Italiener, der gar nicht ist wie ein Italiener?

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