259_Explosionsessen
Wie bei vielen Familien besteht auch unser Abendessen aus einem rituellen Palaver mit Nahrungszufuhr. Es endet recht regelmäßig mit der Explosion unseres Pubertiers und Experten behaupten, dies sei ganz normal und in vielen Familien üblicher Brauch. Das gestrige Mahl begann wie an jedem Abend der vergangenen Woche mit Planungsgesprächen zu Carlas 14. Geburtstag, welcher im September stattfindet. Das Pubertier findet, man kann mit dem Dialog über die Länge der Gästeliste nicht früh genug beginnen. Außerdem will sie den Stein, den ich in ihren Augen darstelle, in punkto Alkoholerlaubnis nun sechs Monate lang höhlen. Und sie ist dabei nicht unerfolgreich, das muss ich ihr lassen.
Ich begann am Dienstag mit einem kargen und grundsätzlichen „Nein“ zum Alkohol. Ich finde, mit 14 Jahren kann man Cola trinken. Nach Debatten am Mittwoch, Donnerstag und Freitag sind wir bei einer kleinen Flasche Bier pro Gast angelangt, der das vierzehnte Lebensjahr abgeschlossen hat. Nun die nächste Tochterfinte: Carla ist der Ansicht, dass es für Personen, die kein Bier mögen, ersatzweise Alcopops geben müsse. Ich zeigte ihr einen Vogel. Die sollen Cola ins Bier schütten, dann haben sie Alcopops. Das fand sie ungerecht. Überhaupt sei die Welt eine Drecksgegend für alle, die noch einen intakten Gerechtigkeitssinn hätten.
Sie erzählte von einer Fotomontage bei Facebook. Darauf waren eine gefeuerte Kassiererin und ein zurückgetretener Bundespräsident zu sehen. Hier eine fristlose Entlassung nach 31 Berufsjahren wegen zweier unterschlagener Pfandbons, dort 200 000 Euro pro Jahr als Rente nach nicht einmal zwei überflüssigen Jahren im Amt. Das sei ungerecht, krähte Carla. Ich wies sie daraufhin, dass es schon Unterschiede innerhalb der Gesellschaft geben muss. Außerdem hat die Kassiererin ja niemand davon abgehalten, selber Bundespräsidentin zu werden. Oder Präsidentengattin. Als solche bekommt man erst die Alcopos umsonst und kann dann später noch bei Penny die Pfandbons einlösen. Das mag ungerecht erscheinen, aber eine ganze Industrie lebt davon. Von wem sollen die Medien schließlich berichten, wenn für alle die gleichen Regeln gelten? Und überhaupt: Wenn jeder auf dem Roten Teppich herumlatschen dürfte, wäre der ja nichts Besonderes mehr. Das muss man schon akzeptieren.
Manche Ämter werden daher nur der Vorteilsnahme wegen geschaffen. Warum sollte denn jemand Präsident werden, wenn es nur Nachteile hat? Das ist ja nicht logisch.
Carla war damit nicht zufrieden. Und als ich ihr sagte, es kämen keine Alcopops ins Haus, auch nicht in Form von Pfandflaschen, reagierte sie mit milder Wut. Ich schlug ersatzweise eine von mir zubereitete Bowle vor. Sie stimmte zu, bis ihr auffiel, dass ich sie wahrscheinlich bei der Zubereitung um den erhofften Alkohol betrügen würde. Mit dieser Unterstellung hatte sie völlig Recht. Peng. Unsere Tochter verpuffte erst, dann verzogen sich ihre qualmenden Reste in ihr Zimmer.
Wir anderen aßen weiter. Nick brachte ein neues Thema auf. Es ging wie so oft bei ihm um „Star Wars.“ Sein Lebensthema. Er tauscht die Sammelbildchen, er liest die Bücher, er kennt sich aus. Aber eine Sache macht ihm wirklich Kopfzerbrechen. Sie hat mit „Episode Vier“ zu tun, dem ehemaligen ersten Teil. Da sendet doch Prinzessin Leia den Droiden R2-D2 mit einer dreidimensionalen Videobotschaft auf den Planeten Tatooine. R2-D2 ist der, der so aussieht wie der Kopf von Gregor Gysi. Sie erinnern sich. Egal. Jedenfalls schauen sich Obi Wan Kenobi und Luke Skywalker diese Botschaft von Prinzessin Leia an. Die ist schadhaft (die Botschaft, nicht die Prinzessin) und wird deshalb mehrfach abgespielt.
Nick stocherte also in seinem Eis herum und sagte: „Warum schießt die Prinzessin den Erzwo-Dezwo in der Rettungskapsel auf diesen Planeten? Das ist doch voll umständlich.“ Ich fragte ihn, was er damit meinte und er sagte: „Warum schickt sie ihm nicht einfach wie jeder normale Mensch eine Mail oder eine SMS?“ Ja. Das sind Fragen, auf die man keine Antwort weiß. Irgendwie sieht die Zukunft heutzutage ganz schön alt aus.