260_Eichhörnchenspießer
Sehr schwer zu bekommen: schöne Fahrradklamotten. Ich für meinen Teil verzichte lieber auf die Ausübung eines Sportes, wenn man dabei so bescheuert aussehen muss wie die Deutschen, die jetzt wieder zu Milliarden auf den Radwegen und Landstraßen unterwegs sind. Ebenfalls rar: gute Eichhörnchenrezepte. Ich wurde neulich vollkommen im Ernst danach gefragt, musste aber passen. Ich habe noch nie ein Eichhörnchen zubereitet und auch keines verzehrt. In unserem oberbayerischen Dorf hat sich nun aber eine Truppe von Eichhörnchen-Hysterikern gebildet, die Jagd auf die flinken Nager macht, um sie flächendeckend zu keulen. Nicht, dass die Leute hungern würden, aber wenn man die Tiere schon umbringt, kann man sie auch aufessen, finden die dörflichen Wutbürger.
Mit ihrem Zorn hat es Folgendes auf sich: Das einheimische rote Eichhörnchen ist in Gefahr. Es vermehrt sich nicht so häufig wie das graue Eichhörnchen nordamerikanischer Herkunft. Letzteres wurde einst nach Großbritannien eingeschleppt und verbreitete sich dort auf Kosten der heimischen Art. Auch in Italien hat Sciurus Carolinensis (grau) das arme Sciurus Vulgaris (rot) bereits weitgehend verdrängt. Grauhörnchen beherrschen offenbar perfide Kampftechniken, die denen der europäischen Rothörnchen überlegen sind und außerdem sind sie viel größer. Sie nehmen unseren einheimischen Nagern das Essen weg, vermehren sich blitzartig, brauchen viel Platz und sind zu nichts Nutze. Und nun wandert das verfressene ausländische Grauhörnchen offenbar massenhaft in unser Dorf ein.
Nachdem sich Thilo Sarrazin zu diesem brisanten Einwanderungs-Thema bisher zumindest öffentlich nicht geäußert hat, blieb meinen Nachbarn nichts anderes übrig als selber einen Aushang an diversen Stromkästen des Ortes zu machen. Autor des Aufrufs zur Abschlachtung von Eichhörnchen mit Migrationshintergrund war Ulrich Dattelmann. Er hält den Vorsitz der Schulpflegschaft inne und weiß immer achtzig ängstliche Elternpaare hinter sich, die ihm blind folgen. Auch wenn es darum geht, das Rothörnchen zu schützen.
Dabei braucht es gar keinen Schutz. Es ist alles ein riesengroßes Missverständnis, es liegt tatsächlich eine tragische Verwechslung vor: Das invasive graue Kampfhörnchen aus Nordamerika gibt es in Deutschland gar nicht. Die Wut von Dattelmanns Dörflern richtet sich gegen völlig unschuldige rote Eichhörnchen, die bloß zufällig schwarzes oder graues Fell tragen. Sie sind eine Laune der Natur, sie sind welche von uns und haben einfach nur den falschen Pullover an. Man sollte sie weder töten, noch häuten und erst recht nicht mit Honig bepinseln und auf Spieße stecken. Aber mir glaubt hier niemand, weil ich den Soziolekt der Empörung nicht beherrsche.
Die Hörnchen-Sache ist übrigens nicht der einzige tierische Aufreger bei uns. Seit drei Tagen hängt an den Stromkästen nämlich noch ein Zettel. Darauf sucht eine Dame aus dem Nachbardorf ihr Kaninchen. Dieses sei abgehauen und wurde laut Zeugenaussagen danach in unserer Nachbarschaft im Maul eines Hundes gesehen. Bei dem Hund handele es sich um einen Beagle. Die Dame bittet nun um Hinweise (gerne anonym), die zur Ergreifung des Beagles, des Hundehalters und des hoffentlich noch lebenden Kaninchens führen sollen.
Da stellt sich natürlich eine wesentliche Frage: Wie ist dieses Kaninchen bloß vom Nachbarort in unser Dorf gekommen? Zu Fuß? Viel zu gefährlich. Entschieden wahrscheinlicher: Das Kaninchen der Frau ist zunächst ausgebrochen und dann eine Station mit der S-Bahn in unser Dorf gefahren. Dort ging es spazieren und wurde dabei von einem grauenhaft gekleideten Fahrradfahrer erfasst und getötet.
Der verdächtigte Beagle hatte also gar kein Kaninchen im Maul. Sondern vermutlich ein unschuldiges graues Eichkätzchen. Aufgespürt von einem Jagdhund der bayerischen Bürgerwehr zum Schutz des heimischen Hörnchens. Ich habe jetzt auch einen Aushang am Stromkasten gemacht. Für alle Nager, die es lesen können: Ich spendiere jedem grauen oder schwarzen Eichhörnchen, das von hier flüchten möchte eine S-Bahn-Fahrkarte ins Nachbardorf.