Mein Leben als Mensch — 16.04.2012

263_Shitstorm mit Gmias

Jetzt ist es soweit. Der deutsche Netzbürger geht mir massiv auf die Erbse. Man kann sich den Wellen der Empörung, die im Internet hin und herrollen, kaum noch entziehen. Und wenn es mir gelingt, von einer Aufregung nicht behelligt zu werden, dann sorgt meine Tochter dafür, dass sie mich doch noch erreicht. Unser Pubertier Carla verbringt den weitaus größten Teil ihres Lebens im Internet und muss sich dort ständig furchtbar echauffieren. Seit Wochen köchelt zum Beispiel der Kriegsverbrecher Joseph Kony auf mittelgroßer Flamme durch unser Leben. Das mag eine schlimme Type sein und ich war einen Vormittag lang dankbar für jede Information, aber irgendwann ist es auch mal gut. Als ich Carla jetzt darum bat, mich aus ihrem Mailverteiler zum Thema „Kony 2012“ zu streichen, warf sie mir vor, dass ich weder die Welt um mich herum verstünde noch sie als Person. Ich stimmte ihr uneingeschränkt zu und bat sie, gelegentlich ihre Schuhe aufzuräumen. Daraufhin ging ein so genannter Shitstorm mit Verwünschungen auf mich nieder. Ich fühlte mich wie Patrick Döring von der FDP nach der Wahl im Saarland.
Der arme Kerl hat nach einer unbesonnenen und leicht dämlichen Äußerung über die Piratenpartei und ihrer angeblichen „Tyrannei der Massen“ ebenfalls einen gewaltigen Shitstorm erlitten – was komischerweise im Nachhinein seine Aussage belegte. Es ist schon so: Facebook ist die Trillerpfeife der Stubenhocker von der Piratenpartei. Sobald jemand eine Meinung äußert, die ihren Anhängern nicht passt, wird millionenfach mit piefigen Kommentaren zurückgekeilt. Ja, klar, das ist Demokratie. Aber es ist auch, wenn schon keine Tyrannei der Massen, so doch zumindest eine Tyrannei der Spießigkeit.
Damit bekam es auch Sven Regener zu tun. Der Musiker schimpfte auf die gewaltsame Entwertung unserer Kultur durch die Forderung nach kostenloser Herausgabe sämtlicher Musik. Regeners Meinung dazu kann man sich nur anschließen, jedenfalls als Künstler. Doch kaum waren seine Worte in der Welt, da kommentierte irgendein Fatzke reflexhaft im Internet, Regener habe sowohl das Urheberrecht als auch die das Recht der Urheber vertretende Verwertungsgesellschaft GEMA nicht verstanden. Das ist bei jeder Kontroverse so: Niemand außer den sogenannten Netzbürgern hat Themen wirklich durchdrungen. Auch Regener nicht, der seit dreißig Jahren seinen Lebensunterhalt als Künstler verdient. Man könnte über so viel Hybris glatt selber in Wut geraten und Blogs vollblubbern. Oder man absolviert einen Spaziergang zum örtlichen Obst– und Gemüsehandel. Dort lernt man einiges über den Umgang mit Wutbürgern. So nennt man Netzbürger, die ihr Haus verlassen, um sich als Nervensägen in der wirklichen Welt zu materialisieren.
Ich gehe gerne zu unserem Gemüsemann. In einem bayerischen Ort heißt so jemand übrigens nicht Gemüsemann, sondern Gmiasmo. Muss man auch erst einmal lernen. Heute war ich jedenfalls beim Gmiasmo und kaufte eine Mango. Da brach ein gewaltiges Urviech ins Geschäft wie eine Hirschkuh durchs Unterholz und begann den Gmiasmo zu beschimpfen. Ich kenne die Frau flüchtig und habe Angst vor ihr, denn ich habe sie schon einmal auf einem Dorffest reiten sehen. Im Programm stand: „Wikingerinnen ohne Sattel und Zaumzeug auf Isländerponys.“ Egal.
Die Wikingerin brüllte jedenfalls den Gmiasmo an, dass seine Erdbeeren wie Wasser schmeckten und dass ihre Kinder so etwas nicht fressen würden. Sie behauptete, er habe ihr billige spanische Erdbeeren zum Preis der teureren italienischen Erdbeeren angedreht. Der Gmiasmo sagte ruhig, dass die billigen spanischen besser seien und sie unbedingt die italienischen hätte haben wollen und auch bekommen habe. Und dass er kein Betrüger sei. Die Wikingerin brüllte, dass sie ihr Geld zurückhaben wolle, das sei nämlich ihr Recht. Ansonsten werde er schon sehen, was er davon habe. Der Gmiasmo gab ihr das Geld zurück, obwohl es ihr nicht zustand und verabschiedete sie freundlich. Ich bewunderte ihn für seine Ruhe. Er sagte: „Was soll ich machen? Wenn ich sie rausschmeiße, diffamiert sie mich im Internet. Und das kann ich mir nicht leisten.“ Ja. Auch so funktioniert Demokratie.

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