264_Spiel mir das Lied vom Müll
Die klassische Landgaststätte stirbt. Immer weniger Deutsche hocken sich gemütlich wie die Vögelchen auf der Stange Hintern an Hintern denselben am Tresen breit, immer seltener hauen sich die Menschen in vergnügtem Rausch dicke Aschenbecher auf den Kopf. Das hat auch damit zu tun, dass es keine dicken Aschenbecher mehr in Kneipen gibt. Und dies ist wiederum ein wichtiger Grund, den traditionellen Gasthof zu meiden. Lieber wankt der Dorfbewohner vom Vereinsheim aus nach Hause. Dort schenken die Betreiber ohne Schanklizenz dasselbe Bier aus wie im Lokal. Außerdem findet man im Vereinsheim sofort dicke Aschenbecher und jede Menge Kumpel bei gleichzeitiger Abwesenheit von Fremden und anderen Störenfrieden. Das geht dem Gaststättenverband zunehmend an die Trinkernieren.
Ich persönlich suche weder das Dorflokal noch das Vereinsheim auf, weil ich kein Mitglied von was auch immer bin. Außerdem habe ich Angst vor den Aschenbechern. Vielleicht sollte ich zum Trinken nach Paris fahren. Dort gelten Aschenbecher als potentiell gefährliche Waffen und sind grundsätzlich verboten, sofern sie nicht aus Leichtmetall gefertigt sind. Ist aber auch egal. Ich bin trotz meiner Weigerung, Vereinsheime zu betreten bestens ins Dorfleben integriert, denn ich fahre jeden Samstag zum Wertstoffhof. Das machen alle bei uns im Landkreis. Das müssen alle so machen, denn die Erfindung der gelben Tonne hat sich bis nach Bad Tölz nicht durchgesetzt.
Das dortige Entsorgungskonzept besteht darin, dass jeder Bürger seinen Müll selber trennt und abgibt. Um dies zu fördern ist die Hausmülltonne so klein, dass kein Mensch damit auskommt, wenn er Verpackungen, Papier, Bioabfall und Glas mit hineinwirft. Das muss alles bereits in der Küche getrennt aufbewahrt und regelmäßig weggebracht werden, es sei denn man möchte zentrale Handlung einer Reportage bei RTL II werden. Die zeigen dort dauernd Menschen, die ihren Müll nicht nur nicht trennen, sondern auch behalten: „Volle Aschenbecher, Flaschen, Plastikmüll und verschmutztes Geschirr mit Essensresten säumen jede Abstellfläche. Die Fenster sind kaputt, die Terrasse ist ein einziger Müllhaufen, das Bad ist verschimmelt und schmutzig. Die 44-jährige Cousine Heidi hilft, wo sie kann.“ Diese Leute wohnen auf jeden Fall nicht bei uns in der Nähe.
Alle Nachbarn unseres Dorfes fahren also Samstags zum Wertstoffhof und verklappen dort ihre Verpackungen. Sie werden dabei von einem Mann beobachtet, der ungefähr so aussieht wie Charles Bronson in „Spiel mir das Lied vom Tod“ und dieselbe Ausstrahlung besitzt. Wenn ein unkonzentrierter Dörfling Joghurtbecher zur Folie wirft oder Aludeckel zu den Verpackungsflocken, kann es sein, dass Bronson das Stück aus dem Behälter fischt, zum Übeltäter schreitet und es ihm vor die Nase hält. Man meint dann, eine kleine Mundharmonika-Melodie über den Hof wehen zu hören. Die meisten meiner ängstlichen Mitbürger machen aber alles richtig.
Dabei ist es immer wieder erstaunlich, wie viel Milch und Joghurt verputzt werden. Nach jahrelanger Übung besitzen die meisten Nachbarn ein erstaunliches Geschick darin, sämtliche Folien, Becher, Flaschen, Tüten, Dosen, Tiegel und Planen blitzschnell in die richtigen Behälter zu sortieren. Die Bewohner meiner Gemeinde könnten das notfalls auch für kleines Geld am Fließband machen, solange sie sich dabei unterhalten dürfen. Es ist Samstags ein großes Geplapper auf dem Wertstoffhof. Im Grunde hat der Wertstoffhof den Landgasthof als Stätte dörflicher Kommunikation abgelöst.
Ich werde nun einen Brief an die Gemeinde schreiben und darum bitten, dem Charles Bronson vom Wertstoffhof eine Schanklizenz auszustellen. Er kann dann aus Sperrmüll einen Tresen basteln und uns Dorfbewohner bewirten. Wenn er mir einen persönlichen Gefallen tun will, kann er auch einen riesigen Aschenbecher auf den Tresen stellen. Hach, wie herrlich ist das Leben in einem bayerischen Dorf.