266_Generation Laser
Unser Nick ist neun Jahre alt und von einer geradezu beängstigenden Begeisterung für Wehrtechnik durchdrungen. Er findet Panzer cool. Und Kampfflugzeuge und sogar mittelalterliche Felsschleudern zum Durchbrechen von Festungen. Die Vorstellungen, ungebetene Besucher unseres Hauses an der Haustür von oben mit Pech zu verbrühen oder einen Pfeilhagel auf den UPS-Boten zu entsenden, machen ihm große Freude. Ich finde das zwar befremdlich, aber Sorgen mache ich mir nicht.
Schließlich ist auch aus mir noch ein ordentlicher Pazifist geworden, der seinen Weltekel aus der beständig erneuerten Kenntnis speist, dass die Nationen einfach nicht klüger werden und sich unbegreiflicherweise immer noch bekriegen, anstatt ihre Probleme wie Erwachsene zu lösen. Aber als Kind war ich mindestens so militant wie mein Sohn. Ich spielte gerne „Stratego“, wo man laut Spielanleitung „Bumm“ sagen soll, wenn ein feindlicher Soldat auf eine clever platzierte Miene latscht. Ich liebte meine Erbsenpistole und brauchte an Karneval eine Schreckschusswaffe, deren Lauf man vor 35 Jahren noch vorsichtig aufbohren konnte. Dann drang mit jedem Schuss ein kleiner Feuerstrahl aus der Mündung.
Ich besaß zudem Bataillone von Plastiksoldaten unterschiedlicher Farbe und Nation. Ich hatte graue, gelbliche, bläuliche und braune, die Russen, Deutsche, Engländer und Amerikaner darstellten. Die Engländer gefielen mir am besten, die Russen hatten hässliche Helme und die Deutschen sehr schöne Handgranaten. Ich ließ diese Figuren sich miteinander unterhalten, bevor ich sie truppweise in den Tod choreographierte, der sie meist in Form von niederprasselnden Legosteinen ereilte. Ich sammelte auch kleine Airfix-Figürchen, welche aufzubauen ungleich mehr Mühe bereitete und die nach und nach wehrlos im Staubsauger verschwanden. Auch die großen Soldaten besitze ich schon lange nicht mehr. Viele von ihnen zerschmolzen zu einem unförmigen Plastikkloß, als ich einmal im elterlichen Garten mit Rasenmäherbenzin einen größeren Bombenangriff simulierte. Dieser dezimierte nicht nur die Soldaten, sondern auch mehrere von meiner Mutter mit Liebe ins Beet gesetzte Farne, einen Rhododendron, drei Pfingstrosen sowie zwei Quadratmeter Kriechwacholder. Die restlichen Figuren habe ich später weggeworfen. Als ich älter wurde, fand ich derlei Spielzeug zum Kotzen. Kriegsmist.
Heute würde ich keine Waffe auch nur berühren. Ich habe Angst vor dem Zeug, mich gruselt die Tatsache, dass in vielen Orten der USA jeder Trottel mit einer scharfen Knarre herumlaufen darf. Trotz der militärischen Karriere zwischen meinem vierten und zehnten Lebensjahr habe ich heute die richtige Einstellung zu dem Thema, glaube ich. Und deshalb mache ich mir keine Sorgen um die Vorlieben meines Sohnes.
Seine Lieblingsfilme sind „Iron Man“ und „Krieg der Sterne“ und beide handeln von Waffen, nämlich einem vollautomatischen Kampfanzug und einem künstlichen Stern, der ganze Planeten zerstören kann. Nick ist von beidem begeistert und von Laserwaffen. Er würde sich so etwas ans Fahrrad schrauben und dann durchs Dorf dengeln, um Kühe oder Postboten zu verschmurgeln. Da sich eine Laserkanone nicht ohne weiteres auftreiben lässt, wäre ihm ersatzweise an der Anschaffung einer so genannten Nerf-Pistole gelegen. Die Dinger schießen kleine Schaumgummi-Projektile ab, die dabei pfeifen wie wütende Murmeltiere. Am liebsten hätte er die Nerf N-Strike Raider Rapidfire CS-35. Er zeigte sie mir im Internet. Dort hieß es: „In die Aufnahmeschiene an der Oberseite des Blasters kannst du verschiedene Zieleinrichtungen anbringen. Im Turbofeuer-Modus können mehrere Pfeile in hoher Geschwindigkeit nacheinander abgeschossen werden.“ Das Ding sah irgendwie ekelhaft aus. Ich kaufte es nicht. Wir veranstalteten stattdessen eine Kissenschlacht, in der ich nach einem schweren Gesichtstreffer benommen liegenblieb. Als ich mich aufrappeln wollte sagte Nick: „Du kannst nicht aufstehen, Du bist tot. Aber ich habe Dich trotzdem lieb.“ Er gab mir einen Kuss und ging in die Küche, um sich ein Nutellabrot zu schmieren. Ich blieb noch eine Minute liegen. Erschossen, aber glücklich. Nein, ich mache mir keine Sorgen.