Mein Leben als Mensch — 14.05.2012

267_Definiere Krach

Zu den schönsten Aufgaben eines Vaters gehört die Erläuterung von Fremdwörtern und anderen komplizierten Begriffen. Zum Beispiel: Soziallärm. Ich erklärte Carla das Wort heute Morgen mit der Schilderung eines Gespräches, dass sich vor vielen Jahren direkt unter meinem damaligen Schlafzimmerfenster ereignete. Unten im Haus befand sich ein Restaurant. Jeden Abend, außer montags, verabschiedeten sich Menschen vor dem Lokal. Und jeden Abend außer montags hörte ich dabei zu und konnte nicht einschlafen. Hier nun die Zusammenfassung einer ganz normalen Verabschiedung zweier Ehepaare. Da es völlig egal ist, wer was sagt, habe ich sämtliche Aussagen in eine postmenopausal-hysterische Frauenstimme zusammengefasst. Hier ist sie:
„Wo müsst ihr lang? Wir müssen da runter. Man findet ja in der Gegend praktisch keinen Parkplatz mehr, alles Anwohnerparken (völlig richtig so). Es scheint fast so als wollten die hier gar keine Gäste (stimmt genau). Jedenfalls müssen wir jetzt noch die halbe Luegallee runter. Das ist ja eigentlich eine Frechheit (och). Und dann zerkratzen sie einem noch das Auto. Wer zerkratzt das Auto? Die Anwohner, wenn sie hier einen Auswärtigen stehen sehen. Mit dem Wolfgang haben sie das gemacht. Wie geht es denn dem Wolfgang überhaupt, den habe ich ja seit Ewigkeiten nicht gesehen. Der war im Krankenhaus. Ach, was hatte der denn? Das darf ich ja eigentlich gar nicht erzählen, das ist dem nicht so recht und ich kann ja schweigen wie ein Grab. Ich erzähle ja gar nichts, jedenfalls hatte der doch diese Geschichte mit den Hoden. Echt? Mit den Hoden? Hihii, die Hoden. Eigentlich gar nicht komisch. Ja, aber es klingt immer komisch, wenn man Hoden sagt. Und was war mit Wolfgangs Hoden (ja, genau: Was war eigentlich mit Wolfgangs Hoden)? Die waren so krankhaft vergrößert. Jedesmal, wenn der irgendwo länger stand, wurden die immer schwerer, weil dann von oben Flüssigkeit hineinlief. Und dann hat er bei Ikea ewig an der Kasse gestanden (ja, kenne ich), da hat er so einen Gartenstuhl gekauft, weil die Brigitte ihm ja bei der Scheidung alle Möbel weggenommen hat und er brauchte dann nur noch einen Gartenstuhl für den Balkon, nicht mehr zwei. Und dafür hat er eine halbe Stunde bei Ikea an der Kasse gestanden und anschließend ist er gleich ins Krankenhaus, da waren die Hoden nämlich so groß wie Tennisbälle. Ich finde das jetzt ganz pointiert wie Du das schilderst: Geschieden, nur ein Gartenstuhl und dann noch vergrößerte Hoden, das klingt ja eigentlich fast literarisch. Ich habe den Wolfgang dann im Krankenhaus besucht und er hat mich gebeten, das wirklich niemandem zusagen, das mit den Hoden, und das habe ich ihm versprochen, denn das macht ja eine Freundschaft aus, dass man auch mal über intime Dinge schweigt (ja, das stimmt). Aber die Brigitte hat mich dann abends angerufen und gesagt, dass es offiziell sei und deswegen kann man darüber reden, meinte die Brigitte. Der ist ja eh immer ein bisschen penibel, der Wolfgang. Also ich mag ihn ja gerne, aber dass der ein Problem mit den Hoden hat, das passt zu ihm. Er ist irgendwie so ein Hodentyp, der Wolfgang. Ja, das trifft es gut. So, wir müssen dann jetzt (Jaaaa!). Sag mal noch schnell: Was macht Ihr eigentlich im Urlaub (Nein!)? Da wollten wir ursprünglich mit Wolfgang und Brigitte nach Mallorca, aber ich weiß jetzt natürlich nicht, ob man mit so einem Hoden überhaupt in die Sonne darf. Stell Dir mal vor, Du fährst mit dem Wolfgang in die Ferien und dann platzt das? Aber es ist ja jetzt egal, denn Brigitte kommt ja auch nicht mehr mit (eben). Das stimmt natürlich. Kennt Ihr eigentlich ihren Neuen? Nein, aber Hanne hat mir erzählt, dass er aussieht wie der Dings, der in dem Film mitgespielt hat, wo sie in die Bank einbrechen. Kenn ich nicht. Der war doch mal mit der Nawieheißtse verheiratet, die jetzt blond ist und früher brünett war. Fällt mir gleich ein (bestimmt). Wie kamen wir jetzt da drauf? (Wegen Brigittes neuem Freund)Wegen Brigittes neuem Freund. Ja, der macht sich rar, weil der ja weiß, dass wir alle wirklich ganz eng mit dem Wolfgang befreundet sind (ja, ihr seid dem Wolfgang tolle Freunde). Egal. Jedenfalls müssen wir jetzt noch die halbe Luegallee runter.“
Und damit ging das Gespräch wieder von vorne los. Soziallärm made in Düsseldorf.

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