Mein Leben als Mensch — 28.05.2012

269_Die Bastelrepublik

Wir Deutschen sind nicht nur Dichter und Denker, sondern vor allem auch Kleber und Säger. Ich bin in diesem Land umgeben von Bastelverrückten, die sich orgelpfeifenartige Auspufftöpfe ans Auto schweißen, die Häkeln bis die Nadeln glühen und ausrasten vor Glück, wenn es irgendwo Salzteigwürstchen zu modellieren gilt. Erst letzte Woche durfte ich wieder mit fasziniertem Grusel die Ergebnisse des deutschen Gestaltungsdrangs bewundern. Beim Champions League-Finale. Meine Landsleute basteln zu solchen Gelegenheiten Papp-Pokale, die sie mit ins Stadion nehmen. Im Fall der Champions League -Trophäe ist der Nachbau ziemlich einfach und bedarf nicht einmal einer schrittweisen Anleitung. Der Pokal sieht in etwa aus wie man sich einen Sektkühler in der Kellerbar von Vico Torriani vorstellt. Einfach aufmalen, ausschneiden, Alufolie drum und fertig ist die Pokalattrappe, die sich aufgrund ihres Gewichtes nicht für Stadionrandale eignet und daher vom Ordnungsdienst toleriert wird. Ich finde es rührend, wenn erwachsene Menschen sich so eine Mühe machen.
Auch bei Demonstrationen drängt Selbstgemachtes ins Bewusstsein. Särge zum Beispiel. Es vergeht eigentlich kein Protest ohne Sarg. In der Tagesschau sieht man dann immer Menschen, die mit finsterer Miene die Gesundheitsreform oder die Tarifautonomie oder den Standort Bochum zu Grabe tragen. Vorher haben sie tagelang zusammengesessen und gutgelaunt diesen Sarg zusammengeleimt. Ebenfalls populär ist die öffentlichkeitswirksame Verkleidung als wandelnde Euromünze oder Atommüllbehälter. Eine Demonstration gleicht in Deutschland irgendwie immer einer Leistungsschau im Basteln.
Die erstaunlichsten Hervorbringungen deutschen Hobbyschaffens werden jährlich am Rosenmontag live im Fernsehen gezeigt. Dann rollen stundenlang die Bastelresultate aus Mainz, Köln und Düsseldorf auf gigantischen Festwagen durchs Bild. Die meisten dieser Wagen zeigen entweder Politiker oder Philipp Rösler in riesigen Dimensionen. Auffällig daran ist, dass die Figuren auf diesen Vehikeln häufig keine Hosen tragen. Irgendwas steckt ihnen dann im Po: Raketen, Spritzen oder Blumen. Die Karnevalsgesellschaften feilen Monate an Konzepten und Details dieser Darstellungen und sind in der Lage, auch aktuelle Ereignisse noch übers Wochenende in Pappmaché zu kommentieren. In keinem Land der Welt ist so etwas denkbar. Nur bei uns.
Das liegt auch daran, dass zumindest meine Generation mit Helmut Scheuer aufgewachsen ist. Seine TV-Sendung „Zugeschaut und mitgebaut“ lief in den siebziger Jahren samstags im ZDF. Scheuer, dem in Deutschland unverständlicherweise nie ein Denkmal gebastelt wurde, baute in Minutenschnelle Lichtorgeln zusammen, er goss Figuren aus Zinn, lötete ein Netzgerät, fertigte Linolschnitte an und einmal sogar eine Hundehütte. Herrlich. Helmut Scheuer war der Bundeskanzler der Bastelrepublik Deutschland.
Die massenhafte Herstellung von handlichen Kopien des über sieben Kilo schweren Pokals der Champions League blieb letzte Woche ohne erkennbare Wirkung auf den Fußballgott. Nach dem Endspiel war ich traurig und verließ das Stadion mit bitteren, aber nicht revanchistischen Gedanken. Vor mir lief ein bayerischer Fan in traditioneller Lederhose, der seinen mühevoll gebastelten Pokal wie eine tonnenschwere Last Richtung U-Bahn schleppte. Wir gingen schweigend in der Menge bis wir auf eine große Gruppe gutgelaunter weil siegreicher Chelsea-Fans stießen. Die Männer lachten und zeigten dabei Gebisse, die den Schluss nahe legten, dass bei ihnen zu Hause die zahnärztliche Versorgung schon vor längerer Zeit zu Grabe getragen worden war. Der traurige Bayer vor mir blieb plötzlich stehen. Dann hob er feierlich seine platte Pokalattrappe und ging auf die Engländer zu. Er übergab ihnen feierlich sein Bastelwerk. Dann gab er allen ganz ernsthaft die Hand und verschwand Richtung U-Bahn. Die englischen Fans waren so gerührt, dass sie für einen Moment vergaßen zu singen. Dann hoben sie die folierte Pappe hoch und jubelten. Es war so rührend, dass ich beinahe geweint hätte. Wenn ich nicht so sauer gewesen wäre.

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