279_Fernsehen ganz nah
Das deutsche Fernsehen hat es sich zur Aufgabe gemacht, möglichst viele Bürger dieses Landes in ihrem natürlichen Habit zu zeigen. Das dient der Erbauung der Bevölkerung und entspricht dem Bildungsauftrag der Anstalten, weil man etwas lernt über den Einrichtungsgeschmack seiner Landsleute. Außerdem werden auf diese Weise soziale Abwärtsvergleiche ermöglicht. Man sieht „Die Wollnys“ und ist mit dem eigenen Schicksal sofort einverstanden. Oder die Armeen von traurigen Gestalten, die ihre Bude nicht aufräumen oder Frauen miteinander tauschen oder entfesselt um die Wette kochen.
Nun hat sich das Fernsehen bei mir gemeldet und möchte mich besuchen. An einem ganz normalen Tag. Das müsse doch sehr aufregend sein. Naja. Wenn man sich Wunden der Begeisterung zufügt, weil jemand am Schreibtisch sitzt, in seine Tastatur tippt und Kaffee trinkt, bitteschön. Es bestünde ein Interesse der Allgemeinheit an meinem Alltag, hieß es. Da habe ich zugesagt, weil ich mich als Gebührenzahler niemals über die Interessen eines öffentlich-rechtlichen Senders erheben würde.
Ich glaube dennoch, dass der Film die eventgesteuerten Zuschauer enttäuschen wird. Ich bin nun einmal nicht Messerwerfer beim Zirkus Sarrasani. Oder Erpresser. Oder Adjutant des Kaisers von Österreich. Ich reite nicht mit Depeschen über Land, ich töte nicht lautlos und stecke keine Strafzettel an fremde Autos. Der Schauwert meiner beruflichen Tätigkeit ist beängstigend gering. Wenn ich auf Lesereise bin geht es ja noch. Doch das wollen sie nicht filmen, sondern einen ganz normalen Tag, an dem ich zuhause bin. Am Ende habe ich zugesagt, weil ich selber neugierig darauf bin, wie langweilig das wird.
Grundsätzlich muss man gut darüber nachdenken, ob man diesen TV-Typen die Tür öffnet. Schon wegen der Kameraassistenten und Tonmenschen. Die sind dafür geboren, Vasen, Möbel, Hausbewohner und Obst mit ihrem Geraffel umzuschubsen. Patsch. Tschuldigung. Am Ende muss noch renoviert werden, was wiederum nicht das Schlechteste wäre. Wenn die morgen hier auftauchen, muss ich mich heute vorbereiten. Da wollen Fragen geklärt werden. Zum Beispiel: Was zieht man fürs Fernsehen an? Kein unwichtiges Thema, wenn man sein eigenes Mediennutzungsverhalten überprüft. Da erzählt einem der feine Herr Bator in der Tagesschau wichtige Dinge über den Fiskalpakt und man denkt: Was ist denn das um Himmels Willen für eine Krawatte. Man muss also irgendwas tragen, was den Leuten weder negativ noch positiv auffällt. Oder man öffnet völlig exzentrisch im goldenen Bademantel und Taucherflossen die Tür, breitet die Arme aus und flötet: „Ach, das Fernsehen, wie schöööön!“ Dann ist man allerdings Harald Glööckler. Also am besten einen gedeckten Anzug anziehen. Und keine Krawatte.
Muss man aufräumen? Man ahnt ja, dass in der deutschen Realtity-Szene die Redakteure ihre Opfer darum bitten, keinesfalls Ordnung zu schaffen. Oder sie schicken vorher jemanden vorbei, der die Bude ein bisschen auf den Kopf stellt, damit die Zuschauer hinterher sagen: „Guck mal wie es bei Jürgen Drews aussieht. Millionen auf der Naht, aber Bananenschalen auf dem Klavier.“ Ich weiß gar nicht, ob der ein Klavier hat. Vielleicht kommt auch Tine Wittler vorher bei uns vorbei und legt ein Ei in einen Haufen Mehl. Also ein Hühnerei. Kein eigenes, natürlich. Überhaupt: Dekoration. Ich könnte ein paar schöne Bildbände wie zufällig überall dort ablegen, wo die Fernsehleute entlangkommen. So genannte Coffee Table Books. Der Bildband ist das Brokatkissen der Zehnerjahre. Oder die Vorhänge noch schnell waschen. Meine Mutter sieht es nicht gerne, wenn die Vorhänge im Fernsehen schmutzig aussehen.
Kommen die Kinder ins Fernsehen? Nein. Und damit Basta. Der Hund vielleicht. Antonio taucht ebenfalls nicht auf. Er will nicht, das haben wir einmal für alle Ewigkeiten vereinbart. Jetzt hat es an der Tür geklingelt. Au Backe! Das Fernsehen. Ich habe das Datum falsch aufgeschrieben. Der Besuch ist heute. Genauer gesagt: Jetzt. Und ich habe nicht aufgeräumt, keine Bildbände hingelegt, keinen Anzug an. Tine Wittler war auch nicht da. Nichts ist dekoriert. Nicht einmal ich. Ich fürchte, es läuft auf Realität hinaus – und nicht auf Reality.