280_Hight-Tech-Tommy
Monatelang angekündigt und dann doch früher als erwartet besuchte mich das Fernsehen. Ich konnte mich nicht einmal umziehen und für eine TV-gerechte Szenerie sorgen. Das Team klingelte morgens um neun Uhr und filmte bereits, als ich die Tür aufmachte. Ich wischte mir Krümel aus dem Mund. Dann enterten zwei Kameraleute, ein Assistent und eine Regisseurin das Haus. Alles sollte ganz authentisch sein. „Lesen Sie einfach die Zeitung, wie immer, ganz ungestört. Und trinken Sie Kaffee.“ Das kenne ich schon. Für einen anderen Beitrag musste ich vor Jahren ganz authentisch ungefähr zwölf Tassen Espresso trinken, um elf Uhr vormittags Spaghetti essen und Barolo trinken. Immer wieder, ganz ungezwungen. Am Ende hatte ich einen Koffeinschock und war besoffen.
Diesmal ging es um die Darstellung einen ganz normalen Tages. Die Schleife des Lebens bindet sich bei mir um immer gleiche Tätigkeiten. Ich lese, tippe mindestens visuell völlig pointenlos auf meiner Tastatur herum und manchmal sehe ich aus dem Fenster. Die Arbeit eines Schriftstellers ist ungefähr so aufregend wie die Weltmeisterschaft im Pfahlsitzen. Der Kameramann hatte aber tonnenweise Equipment dabei. Und das wollte er alles einsetzen. Er fragte, ob ich gelegentlich in der Mittagspause die Zugspitze emporklettere. Nein. Oder eventuell einen Gerichtstermin hätte wegen Nötigung oder so. Nein. Erste Enttäuschung. Dann klatschte der Kameramann in die Hände und sagte: Dann muss es eben so gehen.
Er filmte hernach mit insgesamt fünf Kameras, wie ich nichts mache. Sollte einmal ein Film darüber gedreht werden, wie ein buddhistischer Mönch auf einer Seerose sitzt und über die verwirrende Vielzahl von Ritter Sport-Sorten nachdenkt, so ist der Kameramann Tommy die richtige Wahl, dies zu filmen. Anschließend wird man glauben, man hätte einen Film über splitternackte Nymphomaninnen gesehen, die gemeinsam mit Sylvester Stallone einen Waldbrand im Baskenland löschen und dabei Lieder von Rammstein singen.
Nachdem ich, eine über die Zeitung schnorchelnde Minikamera ignorierend, meine Morgenlektüre beendet hatte, gingen wir spazieren. Tommy fuhr, die Kamera im Anschlag auf einem Sedgeway-Roller neben uns her, bis mein Hund in den Reifen biss. Wir gingen dann in den Wald, wo Tommy begeistert den einzigen Moment galoppierender Action mitnahm, als ich hinter meinen Hund herrannte, weil er nicht folgt, außer Rehen und Hasen. Und meiner Frau. Aber Sara war nicht da. Also stolperte ich durch den Forst meinem Hund hinterdrein und Tommy folgte mir, martialisch ausgerüstet mit einer Streadycam, also einer schwebenden Kamera, die aufwändig am Körper befestigt wird und das Bild immer stabil hält. Kein guter Katastrophenfilm kommt ohne Steadycam aus.
Dann wurde das Wetter schlechter. Deshalb fuhren wir an einen See, an dem ich öfter sitze und nachdenke. Ganz authentisch setzte ich mich dort nieder und dachte auch tatsächlich nach, nämlich darüber, wie man sich am besten authentisch zum Nachdenken hinsetzt. Da fängt Method Acting an. Während ich dachte, filmte mich Tommy mit zwei Kameras als stünde der Ausbruch des Krakatau unmittelbar bevor. Es fing aber nur an zu regnen. Tommy war untröstlich, denn er hatte noch eine Spezialkamera dabei, die er gerne einsetzen wollte. Es handelte sich um einen ferngesteuerten Quadrokopter mit einer daran befestigten HD-
Kamera. Sie filmt im Flug aus dreihundert Metern Entfernung unfassbare Bilder. Man kann mit ihr Fahrten absolvieren, für die Robert Altman vor zwanzig Jahren noch einen zehn Tonnen schweren Kamerakran benötigt hätte.
Bei Starkregen natürlich nicht. Tommy packte seinen Quadrokopter ein. Feierabend. Da riss es auf und die Sonne kam zurück. Er packte die geflügelte Kamera wieder aus, gab Anweisungen, ließ verkabeln. Und sie haben dann tatsächlich diese gigantische Fahrt noch gedreht. Ich stehe am See, denke nach und werde von einem Modellhubschrauber mit Kamera umkreist. Das sind eindrucksvolle Bilder. Muss man sagen. Am Ende hat Tommy elf Stunden lang gedreht, wie ich nichts tue. Wobei, das stimmt nicht ganz: Ich habe etwas getan: Ich habe mich erkältet. Und wie. Aber das kann man natürlich im Film nicht sehen.