Mein Leben als Mensch — 20.08.2012

281_Knoczky lebe hoch

Wir waren im Urlaub und ich lungerte in der Küche des gemieteten Ferienhauses vor dem geöffneten Kühlschrank herum, weil es mir draußen zu warm war. Ich dachte an meinen Schwiegervater und seine merkwürdige Neigung, jede große Erfindung einem Italiener zuzuschreiben. Er kann das sehr glaubwürdig vermitteln. Alles haben die Italiener erfunden, auch den Kühlschrank. Und Teflon, Rugby und bayerisches Bier. Da hörte ich ein Auto hupen. Ich erkenne dieses Hupen unter tausenden. Ich könnte damit bei „Wetten. Dass…“ auftreten. Es geht bei diesem Hupen nicht um Ton oder Lautstärkte, sondern um den Huphub. So hupt nur einer: Antonio Marcipane.
Er und Ursula besuchten uns. Sie seien in der Nähe gewesen, kaum 300 Kilometer entfernt. Natürlich wurde sofort gekocht. Zwei Stunden später aßen wir Gnocchi mit Tomatensauce und Antonio legte der ganzen Familie auseinander, dass die deutsche Autoindustrie seit Jahrzehnten jedes Patent von Fiat geklaut habe. Meine Kinder lieben diese Geschichten. Ich auch, nur nicht im Urlaub. Da will ich meine Ruhe haben. Um ihn zu ärgern sagte ich: „Diese Gnocchi hier sind übrigens keineswegs eine italienische Erfindung.“
Antonio sah mich an als säße ein Biber auf meinem Kopf. Er legte die Gabel in den Teller und sagte: „Wasolle dä Unsinn? Gnocchi sind eine tradizionale Speis von die Italiener.“ Er machte einen trotzigen Eindruck. „Entschuldigung, nein, das ist nicht ganz richtig“, sagte ich. „Genau genommen stammen Gnocchi aus Russland. Sie wurden 1917 von niemand geringerem als dem berühmten General Anatoli Knoczky erfunden.“ Ich wartete ab, wie dieser Teaser bei Toni ankam. Er beäugte mich misstrauisch und fuchtelte mit den Händen herum, dass ich weitererzählen sollte.
„General Knoczky befehligte die fünfte russische Division, die im großen Winterfeldzug irgendwo zwischen Magadan und Markova zum Stillstand kam, weil die Soldaten Kohldampf hatten. Allerdings gab es nur noch Kartoffeln. Und die hatte das Heer bereits in jeder erdenklichen Zubereitungsvariante satt. Sowohl als gewöhnliche gekochte, aber auch als Schwenk–, Brat,¬ Pell¬- Bouillon–, Quetsch,– Salat–, und Ofenkartoffel hing die Knolle den Männern zum Hals heraus. Als Pommes noch recht beliebt, war die Kartoffel als Krokette gleich durchgefallen. Sie wurde von den meisten Infanteristen als zu bourgeois für ein russisches Regiment angesehen. Knoczky sah die Moral der Truppe sinken und ließ seinen Koch sämtliche Zutaten bringen, die die Feldküche auf Lager hatte.
In seinem Zelt experimentierte Knoczky dann mit allem herum, was man ihm brachte: Mehl, Grieß – und Kartoffeln. Unter der ständigen argwöhnischen Beobachtung der hungrigen Soldaten schuf Knoczky innerhalb von nur zweieinhalb Wochen und nach etlichen bitteren Niederlagen ein Klößlein, welches er in kochendes Wasser warf. Anschließend gab er geschmolzene Butter und ein Salbeiblatt dazu und rieb den brettharten Käse einer vom Leben enttäuschten ukrainischen Ziege darüber.
Der Erfolg war gewaltig und die Soldaten – nicht der gerührte General – tauften die Kartoffelteiglinge nach ihrem Erfinder „Knoczky.“ Das Rezept wurde dann aber von einem italienischen Spion namens Anselmo Pizzinini gestohlen, bevor Knoczky es beim europäischen Patentamt in München anmelden konnte. Zu seiner Überraschung war Pizzinini schneller. Der Italiener verbreitete die von ihm in Gnocchi umgetaufte Speise in seinem Heimatland und wurde damit steinreich, während Knozcky völlig verarmt, einsam und hochbetagt 1965 in einem Soldatenheim in Wolgograd an einer Gräte erstickte. Denkt also an Anatoli Knoczky, wenn Ihr das hier esst,“ schloss ich meinen Vortrag feierlich.
Als wir zu Bett gingen, hörte ich meine Schwiegereltern reden. „Knoczky, so eine dumme Unsinnquatsch“ hörte ich Antonio Marcipane schimpfen. Und dass sich seine Tochter da einen schönen Spinner ausgesucht habe. Am nächsten Morgen fuhren Ursula und Antonio weiter. Ich bekam keinen Kuss.

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