287_Sensible Euter
Gerne gebe ich es zu: Ich bin ein empfindlicher Mensch, eine furchtbare Mimose. Jedenfalls manchmal. Wenn die Tagesform es nicht zulässt, kann ich mit Genörgel nur schlecht umgehen. Ich lege auch Wert auf gute Manieren und würde schon deswegen niemals in die Piratenpartei eintreten. Dafür muss man masochistisch veranlagt sein. Oder aus Stein gehauen. Neulich kündigte zum Beispiel der Oberpirat Christopher Lauer fatalistisch an, er werde sich nun „in den Shitstorm stellen.“ Den Bewurf mit verbalem Kot hatte er sich in den Augen seiner Kollegen verdient, indem er es gewagt hatte, einen Gesetzesvorschlag zu formulieren. Das ist im Politikbetrieb eine nicht ganz unübliche Kulturtechnik, um die Welt in Rotation zu halten, kommt jedoch bei den Piraten irgendwie gar nicht gut an. Ständig hacken die aufeinander rum und Lauer wurde dann tatsächlich ausgiebig von seinen Freunden beschimpft und gekränkt. Das muss man aushalten können.
Ich könnte mich dem kleinlichen Gemecker und der Besserwisserei dieser Ansammlung von anonymen Administratoren nicht gut aussetzen. Ich gerate ja manchmal schon an den Rand einer mentalen Formkrise, wenn ich im Supermarkt an der Kasse stehe und die Oma vor mir schiebt so einen Plastiktrenner zwischen ihre und meine Sachen. An schwachen Tagen fühlt sich das an, als wollte sie mich ausgrenzen, als hielte sie ihre Einkäufe für wertvoller als meine oder als dächte sie, ich wollte meine Lebensmittel von ihr bezahlen lassen. Ich weiß, das klingt schon sehr merkwürdig. Aber vielleicht kennen Sie diese Momente ja auch. Dann winkt einen der Mann in der Waschstraße so rüde in die Transportspur, dass man denkt: Ich möchte bitte nicht zum Spielball Deiner Rache an der Gesellschaft werden. Dann ballert der Müllmann Deine Tonne so roh auf die Straße, dass man sagen möchte: Was kann denn meine Tonne jetzt wofür auch immer?
Aber man sagt es nicht, man nickt nur stumm und holt die Zeitung aus dem Briefkasten. Nun könnte die Laune in den Keller gehen, jetzt könnte genau so ein Tag beginnen, an dem man empfindlich und gereizt und melancholisch von einem Missverständnis ins nächste stolpert. Zum Glück wird man aber bei der Zeitungslektüre manchmal so unverhofft erheitert, dass aufsteigender Missmut einer fröhlich zirpenden Grille weicht. Kurz nach der Begegnung mit dem bösen Müllmann schlug ich nämlich die Zeitung auf und sah eine Anzeige. Riesig groß. Eine ganze Seite. Von einem Flugzeughersteller. Im Text hieß es: „Wann wird Ihre Airline mit der A380 nachhaltiger wachsen?“ Ja, gute Frage, die ich mir in Bezug auf meine Airline noch nie gestellt habe. Ich malte mir aus, wie Millionen von deutschen Airline-Besitzern, die täglich beim Frühstück die Zeitung lesen, nun ins Grübeln kommen. Sie fahren ins Büro und sagen zu ihrer Sekretärin: „Frau Hoppel, bitte bestellen Sie doch mal 14 oder 15 A380 für unser nachhaltigeres Wachstum.“ Und ich freue mich schon auf entsprechende Anzeigen von Atomkraftwerksherstellern, U-Boot-Manufakturen und Raumschifffabriken.
Apropos erfolgversprechende Werbung: Neulich sah ich einen adligen Bio-Bauern bei Günther Jauch sitzen. Der Mann sprach dort für sich und im Interesse seiner Kollegen. Ich bin aber nicht ganz sicher, ob er der Bio-Szene wirklich einen Gefallen tat, als er freimütig erklärte: „Am Anfang hatten wir ja große Probleme mit Lungenwürmern und der holsteinischen Euterseuche.“
Kurz nach dieser die Phantasie aufpeitschenden Aussage des Bio-Grafen betrat unser Pubertier das Wohnzimmer und beschwerte sich über meine nachlassende Bereitschaft, ihre Telefonate entgegenzunehmen. Und sie bezichtigte mich des Diebstahls. Ob ich ihren Kajalstift wirklich nicht hätte. Ich verneinte und sagte, sie sei auch ohne Kajal sehr hübsch und brauche den abends um 10 auch gar nicht mehr. Darauf fauchte Carla ungnädig: „Was verstehst Du denn schon davon? Du bist alt.“ An einem schlechten Tag wäre ich daraufhin wahrscheinlich in traurige Grübelei verfallen. Aber dafür war ich viel zu gut gelaunt. Günther Jauch und seinem Bio-Bauern sei Dank. Holsteinische Euterseuche. Was für ein großartiges Wort.