291_Flusen und Zangen
Entschuldigung, hallo, haben Sie meine Zange gesehen? So eine Rohrzange mit roten Griffen. Ich weiß ja, das ist jetzt etwas hilflos, aber Sie sind meine einzige Hoffnung. Ich habe wirklich schon überall gesucht und sie nicht gefunden. Und da dachte ich, dass man ja hier an dieser Stelle noch mal fragen könnte, bevor man die Zange endgültig abschreibt. Wozu ist eine Kolumne sonst gut? Aber ich ahne schon, was jetzt kommt. Sie denken wahrscheinlich: Was soll ich denn mit dem seiner Zange? Vielleicht denken sie das auch in korrektem Deutsch. Aber Sie haben auf jeden Fall Recht. Wir kennen uns überhaupt nicht. Und wie sollten Sie an meine Rohrzange kommen? Wie gesagt, es war ein verzweifelter Versuch. Aber ich brauche jetzt meine Zange.
Wenn man kein Handwerker, Zahnarzt oder Folterknecht ist, benötigt man nur sehr selten eine Zange. Das macht die Suche nicht einfacher, denn es könnte deshalb gut sein, dass das Ding schon sehr lange verschwunden ist. Vielleicht seit Jahren. Womöglich liegt die Zange unter anderem Zeug, so genanntem Schichtkrempel, der im tiefen Kaarst meines Dachbodens auf neugierige Erben oder Einbrecher oder Archäologen wartet.
Ich stand vorhin in der Küche und dachte sehr ernsthaft darüber nach, wann ich das letzte Mal die verdammte Zange gebraucht habe. Es fiel mir aber nicht ein. Gut, ich habe einmal mit der Zange einen Nagel eingehauen, weil ich den Hammer nicht gefunden habe. Das ist aber sehr lange her und ich kaufte anschließend einen neuen Hammer. Aber was ist mit der Zange passiert? Man könnte nun darüber nachdenken, ob ich das, was ich da machen muss, nicht auch ersatzweise mit dem Hammer machen könnte, aber die Überlegung führt nicht weiter. Man kann einen Hammer durch fast alles ersetzen, eine Zange aber durch nichts.
Wofür ich jetzt eine Zange brauche? Ich benötige sie zur Zerstörung eines Teils unserer Waschmaschine. Unten rechts befindet sich nämlich ein Drehverschluss und dahinter liegt das Flusensieb. Dies ist übrigens ein Begriff, der dem Textverarbeitungsprogramm Word unbekannt ist und der daher rot unterschlängelt wird. Das ist insofern merkwürdig, als die Wörter „Pfefferpumpe“ und „Schmalzschraube“ und „Kotderivat“ allesamt von Word ohne mit der Softwarewimper zu zucken akzeptiert werden. Das Flusensieb hingegen wird von vornherein für irgendwie mangelhaft gehalten. Kein Wunder. Unser Flusensieb ist auch mangelhaft, wahrscheinlich sogar kaputt. Oder verstopft. Ich weiß es nicht, denn ich bekomme den Drehverschluss nicht auf. Keine Chance.
Nachdem ich eine halbe Stunde lang unter Hulk-artigem Anstrengungsgebrüll versuchte, den Verschluss zu drehen, rief ich eben bei dem Mann an, der uns die Maschine damals verkauft hat. Dieser teilte mir mit, dass es sich um ein bekanntes Problem handele. „Einmal verstopft, bekommen Sie das nicht mehr auf,“ sagte er und fügte hinzu: “Da ist nix mehr zu drehen.“ Ich fragte ihn, was ich denn nun machen könne. Und er empfahl mir, den Drehverschluss zu zerstören. Ich müsse ihn mit einer Zange gewaltsam aus seinem Gewinde brechen. Danach könne ich das Flusensieb entnehmen und säubern. Man müsse anschließend lediglich einen neuen Drehverschluss einschrauben. Er bot an, diesen gleich morgen vorbei zu bringen und sagte, ich könne viel Geld sparen, wenn ich das verklemmte Ding selber mit roher Kraft herausbrechen würde, denn wenn er das mache, koste es gleich achtzig Euro. Und ich könnte das bestimmt ebenso gut wie er.
Seitdem suche ich meine Zange. Es stellt für mich eine ganz spezielle Demütigung dar, Mitmenschen um Hilfe zu bitten, außerdem kann ich mir keine Zange bei den Nachbarn leihen, denn dafür bin ich einfach zu alt. Mit Anfang zwanzig kann man sich noch Werkzeug borgen, aber nicht mit Mitte vierzig. Ich könnte mir in meinem Alter eine Kompostmühle leihen, aber keine Zange. Oh. Soeben ruft Sara aus dem Keller, dass sie das Ding aufbekommen hat. Mit einem Schraubenzieher und einem Hammer sowie vier beherzten Schlägen. Sehr gut. Da brauche ich ja die Zange nicht mehr zu suchen. Dämliche Rohrzange. Braucht kein Mensch, so ein Ding.