Mein Leben als Mensch — 05.11.2012

292_Sehr gerne

Beobachtungen der vergangenen Reisetage. Ich sitze im Hotel und frühstücke. Das ist auch deshalb angenehm, weil außer mir niemand im Raum ist, jedenfalls kein anderer Gast. Nur zwei junge Frauen vom Hotel sind zugegen. Sie sollen das Büffet pflegen, aber sie haben nichts zu tun. Also setzen sie sich an einen freien Tisch nahe der Küche und sofort beginnt die jüngere zu schimpfen. Sie sei jetzt seit zwei Jahren im Hotel und es gefalle ihr gut, wenn nur diese eine Sache nicht wäre: „Also, was mir echt voll auf die Nerven geht, das ist dieses dämliche sehr gerne. Das haben sie mir gleich am ersten Tag eingetrichtert. Egal, wie blöd der Wunsch eines Gastes ist, immer muss ich sehr gerne sagen. Sehr gerne. Was soll das überhaupt heißen? Sehr gerne! Heißt dass, das ich das sehr gerne mache oder dass ich finde, dass sich der Gast das sehr gerne wünschen kann? Ich denke dann jedes Mal, Du kannst mich sehr gerne haben. Wahnsinn. Sehr gerne. Ich finde, man sollte das nur sagen, wenn man das auch wirklich sehr gerne macht, das ist ja sonst total verlogen. Kannste aber nicht drüber diskutieren. Mein Gott, wie mir dieses sehr gerne auf den Wecker geht.“
Ihre Kollegin muss dann in die Küche, weil da irgendwas piept. Also steht die junge Hotelfrau auf, kommt zu mir herüber und fragt mich, ob bei mir alles Recht sei. Ich sage: „Würden Sie mir nur noch einen Kaffee bringen?“ Und darauf sie: „Sehr gerne.“
Die Reise geht im Mietwagen weiter. Durch die Nordrhein-westfälische Provinz. Ich höre die Jugendwelle des WDR, „Einslive.“ Dort interviewt ein vor Erregung berstendes Moderationsfohlen die Sängerin Lena Meyer-Landrut. Die ist für die „Eins-Live-Krone“ nominiert. Nachdem beide Frauen zehn Minuten lang geschildert haben, wie wahnsinnig aufgeregt sie gerade sind, tremoliert die Moderatorin: „So, Lena, jetzt musst Du aber noch Deine Fanbase antriggern.“ Und Lena ruft zurück: „Mann! Leute, votet für mich!“
Abends nach der Lesung sehe ich fern und stelle fest, dass die CSU ebenfalls ihre Fanbase angetriggert hat. Die ist sehr groß und besteht aus so ziemlich allen Journalisten Deutschlands, die begeistert über den Parteisprecher Strepp herfallen wie Piranhas über eine Rosenheimer Jungfrau. Am liebsten würden die schäumenden Journalisten anschließend auch noch Alexander Dobrindt abnagen, den CSU-Generalsekretär. Früher erinnerte der mich ja immer an die lederbehosten Juniorchefs aus der lokalen Viehwirtschaft, die sich bei uns im dörflichen Festzelt nach 22 Uhr dreißig mit den Bierhumpen immer gegenseitig die Fontanelle knacken. Aber dann haben sie ihn in der Parteizentrale einem heftigen und sicher schmerzhaften Modernisierungsprogramm unterzogen. Dobrindt 2.0 sieht aus wie die oberpfälzische Version von Kevin Costner. Und ihm kann man nichts anhaben. Da müsste er sich schon noch rustikaler geben.
Der frühere Ministerpräsident Italiens kann hierfür jederzeit als Vorbild dienen. Silvio Berlusconi hat einmal ohne Umweg über die Redaktion gleich live in einer TV-Talkshow angerufen und zunächst den Moderator zur Sau gemacht, um dann die in der Sendung angegriffene Politikerin seiner Partei zu verteidigen. Die war früher mit der Reinigung seiner Zähne beschäftigt, jetzt sitzt sie für ihn in einem Regionalparlament.
Am letzten Reiseabend noch eine Lesung. Anschließend tritt eine Dame an den Tisch, an dem ich wie immer Bücher vom Umtausch ausschließe, indem ich Ort, Datum und Unterschrift hineinschmiere. Manche Leute möchten auch noch eine persönliche Widmung. So wie diese Dame. Sie sagt: „Könnten Sie bitte hineinschreiben, dass ich dieses Buch meiner Freundin Hannelore schenke, obwohl sie sich nie bei mir für die Vorfälle an Sylvester 2010 entschuldigt hat. Schreiben sie außerdem: Dennoch möchte wenigstens ich Anstand und Höflichkeit wahren und Dir zum Geburtstag diese kleine Aufmerksamkeit zukommen lassen.“ Ich will einwenden, dass ich so etwas nicht gut in ihr Buch schreiben kann, weil ich mit Hannelore ja gar kein Problem habe, sondern sie. Außerdem wüsste ich zu gerne, was Sylvester 2010 passiert ist. Aber die alte Frau schaut mich finster an und sagt streng: „Schreiben Sie das bitte.“ Und ich antworte: „Sehr gerne.“

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