Mein Leben als Mensch — 26.11.2012

295_Generalministranz

Natürlich beantwortet man die Fragen seines zehnjährigen Sohnes korrekt. Das bedeutet: Sachlich richtig, verständlich und nicht zu ausführlich, damit es nicht langweilig wird. Und vor allem: wertfrei. Besonders Letzteres erfordert eine gewisse Übung. Fragt ein Junge zum Beispiel danach, was die FDP ist, sagt man: Das ist eine politische Partei und sie möchte gerne, dass die Leute nicht so viel Steuern zahlen müssen, damit sie Ihr Geld für andere Dinge ausgeben können. Außerdem ist die FDP in der Regierung und darf mitbestimmen. So ungefähr hat das zu lauten. Väter, die sich einfach nicht zusammenreißen können, sagen indes: Die FDP ist ein Club von Politikern, der vor allem will, dass es allen Leuten gut geht, die diesen Club gewählt haben. Und sie sind in der Regierung, obwohl 96 Prozent aller Wähler das gar nicht wollen. Das geht natürlich nicht. Man muss sich mehr bemühen, damit die Kinder ein eigenes Weltbild aufbauen können und nicht einfach jenes der Eltern kopieren. Ich gebe mir damit auch wahnsinnige Mühe. Außer manchmal.
Wir saßen vor dem Fernseher und schauten die Nachrichten an. Generalstreik in Spanien. Nick fragte: „Papa, was ist ein Generalstreik?“ Ich dachte kurz nach und sagte: „Das ist, wenn alle Generäle streiken. Weißt Du, so ein Leben als General ist auch nicht immer ein reines Zuckerschlecken. Ständig muss man seine Orden putzen oder seine Mütze suchen. Oder man muss kontrollieren, ob die Kanonenrohre alle geputzt sind. Das ist eine ziemlich blöde Arbeit. Alles, was man dafür bekommt ist eine Prachtuniform und besseres Essen als die anderen Soldaten. Und das geht den Generälen auf die Nerven. Deshalb möchten sie mehr Mützen haben, damit sie nicht ständig danach suchen müssen. Und sie verlangen einen Generalinspekteur, der für sie die Kanonen inspiziert. Und weil sie das nicht bekommen, treten sie in den Generalstreik. Ihr Land kann solange keinen Krieg führen, wie die Generäle streiken.“ Je länger man darüber nachdenkt, desto mehr wünscht man sich einen globalen und unbefristeten Generalstreik. Nick dachte darüber nach, fand aber meine Erläuterung einen großen Quatsch. Er ließ seine Mandarinenschalen auf dem Sofa liegen und ging ins Bett.
Tage später fuhr ich Nick in die Schule und wir passierten ein Schild, auf dem für das nächste Wochenende ein „Ministranten-Basar“ angekündigt wird. Wir sind nicht katholisch und deshalb fragte Nick: „Papa, was ist ein Ministranten-Basar?“ Ich finde, das darf er ruhig wissen und erklärte es ihm: „Das ist eine Art Markt, wo man seine alten Ministranten verkauft oder sich einen neuen Ministranten zulegt. Je nachdem.“ „Und wofür braucht man einen Ministranten?“ Ich erläuterte ihm auch das. „Ein Ministrant ist ein junger Mann mit einer etwas unpraktischen Dienstkleidung, der leichte Aufgaben im Haushalt erfüllt, die einem selber lästig sind. Es gibt zum Beispiel Pfeffermühlenministranten, die neben dem Tisch stehen und das Essen mit einer riesigen Mühle pfeffern. Es gibt Silberfischchenministranten, die im Badezimmer nach Ungeziefer suchen. Es gibt Uhraufzieherministranten und solche, die Teebeutel auswringen. So ein Ministrant wohnt im Schrank und immer, wenn man ihn braucht, bimmelt man mit einem Glöckchen. Der Ministrant kommt dann heraus, verrichtet schweigend seine Aufgaben und verschwindet wieder. Ministranten reden ausschließlich mit anderen Ministranten und spielen Fußball gegen die Ministranten aus dem Nachbardorf.“ Nick war sofort Feuer und Flamme. „Kann ich einen Ministranten haben?“ rief er. Er wollte unbedingt auf den Ministranten-Basar, um das Angebot zu sichten.
Am Freitag kam er aus der Schule und war verstimmt. Er habe mit seinem Religionslehrer über das gesprochen, was ich ihm da von den Ministranten erzählt hätte. Ich wurde rot, Hitze stieg auf. Und Nick sagte ziemlich sauer: „Das mit dem Ministranten-Basar, das funktioniert so nicht.“ Ich senkte den Kopf. Ich weiß ja, man soll den Kindern die Dinge richtig erklären und keinen Blödsinn treiben. Da rief Nick: „Der Herr Schadewald hat gesagt, wir können überhaupt keinen Ministranten kaufen. Die gibt’s nämlich nur für Katholiken.“ Soso. Der Herr Schadewald. Mit dem müsste man mal ein Wörtchen reden.

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