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Leider denke ich wenig nach, bevor ich Geschäfte abschließe, denn bereits einfache Businesspläne überfordern mich. Eine Leberkässemmel für einen Euro, das ist ein Deal, den ich kapiere. Die Komplexität von An– und Verkauf meiner Umzugskartons hingegen stellt offenbar unüberwindbare Hürden für mich auf. Dabei schien alles so einfach: Im Sommer machte mir eine Spedition das Angebot, 300 Kartons für den Umzug bei ihr auszuleihen. Das sollte 300 Euro kosten. Ich tippte mir an die Stirn. Umzugskartons ausleihen, was soll denn der Blödsinn? Sara beschwor mich, genau das zu tun, aber ich stellte eine Rechnung auf, wonach der Spediteur diese blöden Kisten vermutlich zehn Mal verleihen könne, also 3000 Mücken damit mache, aber selber nur 450 dafür ausgebe. Das sah ich nicht ein und deshalb kaufte ich selber die 300 Kartons für 450 Euro. Der Spediteur zuckte mit den Schultern, nahm das Geld und ich besaß so viele Kartons, dass ich damit einen Stapel hätte bauen können, der bis zum Restaurant des Eiffelturms auf 115 Metern Höhe gereicht hätte. Aber erstens sind wir nicht nach Paris gezogen und zweitens brauchte ich die Dinger ja für den Umzug.
Als dieser vollzogen war, legte ich die Kartons zusammengefaltet vor die Wohnung ins Treppenhaus. Wir gingen immer recht mühsam um den mannshohen Stapel herum und die Nachbarn auch. Ich schickte eine Rundmail an alle Freunde und fragte, ob jemand die Kartons haben wolle. 300 Stück für 450 Euro, quasi Selbstkostenpreis. Ich fand das verführerisch, doch es biss niemand an. Einige fragten, was sie bitteschön mit 300 Kartons anfangen sollten und warum ich die Dinger nicht einfach gemietet hätte.
Nach vier Wochen klingelte der Mann von der Hausverwaltung und erklärte mir, dass die Kartons nicht länger im Flur bleiben könnten, weil sie den Fluchtweg behinderten. Außerdem befänden sich die drei Stapel nicht im Einklang mit den ästhetischen Vorstellungen des Eigentümers, des Architekten und der anderen Bewohner des Hauses. Gut, so hat er das nicht formuliert. Er sagte einfach: „Das sieht kacke aus.“
Ich veröffentlichte eine Kleinanzeige im Internet und bot die 300 Kartons für 450 Euro an. Es meldeten sich aber nur Leute, die 40 brauchten. Oder zwanzig. Oder fünf. Ich wollte aber alle auf einmal verkaufen, um wenig Arbeit damit zu haben. Nach drei Monaten bekam ich einen Brief von der Hausverwaltung. Man werde die Kartons kostenpflichtig entsorgen, wenn ich nicht unverzüglich und so weiter. Ich schrieb die Anzeige um, senkte den Preis auf einen Euro pro Karton und bot an, auch einzelne Exemplare zu verkaufen. Innerhalb einer Woche waren 200 Kartons weg. Ich tauschte dafür ungefähr vierzig E-Mails mit Interessenten aus, bewirtete einige mit Kaffee und nahm wegen Mengenrabatts ungefähr 50 Euro ein.
Dann kam der kleine Ferdinand vorbei und fragte, ob er zwei Kartons kaufen könne. Für seine Spielsachen. Er hatte zwei Euro in bar dabei. Ich schenkte ihm die Kartons, weil ich ihn so rührend fand. Er sagte „geil“ und schleppte die gefalteten Kartons nach Hause. Ich glaube, er besitzt viel mehr Geschäftssinn als ich. Wenig später standen seine fünf besten Freunde auf der Matte und sagten, sie hätten von Ferdinand gehört, dass ich Pappkisten verschenkte. Ich gab jedem zwei und verbuchte weitere 12 Euro auf der Nichthaben-Seite.
Gestern sind die letzten Kartons weggegangen. Ich habe insgesamt 115 Euro eingenommen, Wenn ich sie geliehen hätte, hätte ich 300 ausgegeben, so waren es nach Abzug meiner Einnahmen 335. Ich habe also nur 35 Euro Verlust gemacht. Dachte ich jedenfalls. Vorhin beim Essen hat mich mein 14jähriger Sohn allerdings darüber aufgeklärt, dass ich meine Arbeitsstunden nicht eingerechnet habe. Er nahm an, dass ich vierzig Stunden für den Verkauf der Altpappe brauchte. Er legte den Mindestlohn zugrunde und kam auf 353, 60. Euro, die ich meinem Verlust hinzuaddieren müsse. Dann erklärte er mir, dass ich jedoch kein Geringbeschäftigter sei und rechnete erneut mit einem Stundensatz von 50 Euro, wodurch sich ein Gesamtminus von 2035 Euro ergab. Das finde ich sehr beunruhigend. Also nicht die Summe jetzt. Sondern dass mein Sohn so etwas kapiert. Ich mache mir ernsthaft Sorgen um den Jungen. Und den nächsten Umzug organisiert er.