Mein Leben als Mensch — 15.02.2017

514_Army of Lovers

Nachdem Carla gerade mit Alex Schluss gemacht hat, ist es an der Zeit, ein erstes Resümee zu ziehen, was ihre diversen Lernbeziehungen angeht. Sie steht vor der Volljährigkeit und alles, was ihr demnächst an Partnerschaften unterläuft, ist zumindest theoretisch nicht mehr mein Bier. In Wahrheit natürlich doch. Schließlich habe ich die Burschen auch in Zukunft am Küchentisch sitzen, wenn sie nicht weiterwissen, von ihr verstoßen wurden oder nicht kapieren, was sie jetzt schon wieder verkehrt gemacht haben. Jedenfalls wurde dem armen Alex gestern gekündigt. Ich wusste es vor ihm, denn ich hörte, wie Carla in einem Telefonat mit Freundin Emma raunte: „Ich glaube, heute schieß’ ich ihn ab.“
Woran es lag, kann ich nicht sagen. Ich mochte ihn. Er war freundlich, machte einen klugen Eindruck und sah gut aus. Nach Ansicht meiner Tochter war er aber auch langweilig. Und sie erwähnte einmal, dass sie niemanden brauche, der es ihr immer Recht mache. Vielmehr benötige sie jemanden, der ihr auch mal sage, wo es langginge. Ich antwortete, dass ich speziell dafür jederzeit zur Verfügung stünde. Darauf nannte sie mich einen Vater-Clown und sagte, sie frage sich, wie ich überhaupt jemals an eine Frau gekommen sei.
Am frühen Abend verschwand Alex dann aus meinem Leben. Carla traf ihn in der Stadt und kam gegen 20 Uhr nach Hause. Ihren Beziehungsstatus bei Facebook hatte sie bereits in der S-Bahn von „in einer Beziehung“ auf „Single“ geändert. Sie berichtete, dass Alex die Nachricht gefasst aufgenommen habe und das konnte ich bestätigen, denn der Junge hatte seinen Status ebenfalls bereits aktualisiert. Carla verschwand in ihrem Zimmer und ich dachte an die vielen Burschen, die mir in den vergangenen fünf Jahren präsentiert worden sind.
Sie zogen an mir vorbei wie eine Geisterarmee. Da war zunächst Valentin; mehr ein Kinderfreund, mit dem Carla ihren ersten echten Kuss ausprobiert hatte. Sie berichtete, er habe nach Früchtetee und Chips geschmeckt. Wie gesagt, sie waren jung. Valentin ging dann in ein Internat. Als ich ihm Jahre später wieder begegnete, war er plötzlich drei Meter groß und klang wie Ben Becker. Er spielt Rugby und plant eine Profi-Karriere in den USA. Dabei habe ich doch erst vorgestern mit ihm seine Zahnklammerdose gesucht. Naja. Dann trat Moritz auf den Plan. Der arme Kerl verwendete mehrere traurige Jahre seiner Adoleszenz auf unser Kind und wurde von ihr fast durchgehend schlecht behandelt. Einmal warf sie ihn raus, weil er aus Versehen bei „How I met your Mother“ eingepennt war und schnarchte. Bei anderer Gelegenheit zog er sich ihren Zorn zu, weil er es gewagt hatte, die Frisur von Carlas Erzfeindin Ricarda zu loben. Moritz tat mir immer ein wenig Leid, aber ich kenne seine Eltern und glaube, er hatte es mit Carla vergleichsweise gut. Dann machte sie mit ihm Schluss. Wegen Felix der drei Jahre älter war als Moritz.
Es ist die Höchststrafe für die Jungs, wenn sie durch ältere Geschlechtsgenossen ersetzt werden, die bereits über einen Führerschein verfügen. Moritz bekam auch noch den Horrorsatz zu hören, nämlich, dass sie ja einfach so Freunde bleiben könnten, was natürlich nicht eintraf. Felix wurde mir als neuer Klavierlehrer vorgestellt, tatsächlich habe ich jedoch niemals auch nur einen einzigen Klavierton gehört, wenn er zu Besuch war. Tatsächlich habe ich überhaupt gar keinen Ton gehört, was einen ja verrückt macht. Felix hielt sich aber nicht lange, weil Carla bei ihm zuhause ein Mannschaftsposter des FC Bayern entdeckte.
Danach kamen in rascher Folge Damir, Adrian, Justus und Nico, die sich in unterschiedlicher Weise als unbrauchbar erwiesen. Damirs schlaffer Händedruck fühlte sich an wie der Griff in eine gestrandete Blumenkohlqualle. Adrian spuckte beim Sprechen wie eine römische Brunnenfigur, Justus sprach einen selbsterfundenen unverständlichen Soziolekt, der jede Konversation unmöglich machte und Nico war doof wie drei Meter Waschbeton. Es folgte Maxim, ein stiller Junge, der einmal aß, was Carla ihm kochte und danach nie wieder auftauchte. Und nun also Alex. Doch bevor ich anfangen konnte ihn zu vermissen, erschien Carla in der Küche und teilte mit, Alex käme gleich noch einmal vorbei. Zum Reden. So einfach sei die Sache nicht. Aha. Sie will in Ruhe reden. Ich glaube fast: Sie wird erwachsen.

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