517_Festnetz-Opa
Wenn etwas kaputtgeht, ist das für mich immer ein schmerzhafter Prozess. Da hat man Jahr um Jahr Rührei in einer Pfanne gebraten und eines Tages fällt einfach der Stiel ab. Oder die Fernbedienung fliegt auf den Boden und die Batterieklappe bricht heraus. Oder eine Sohle läppert plötzlich irreparabel vom Lieblingsschuh. Ich muss mich dann ausführlich verabschieden. Ciao Pfanne. Mach’s gut, Du liebe Fernbedienung. Ach Schuh, Dein letzter Weg wird schwer. Sara findet mich sentimental, aber ich habe nun einmal echte Beziehungen zu Gegenständen. Auch weil sie niemals Widerworte geben oder ins Ballett gehen möchten.
Egal. Jedenfalls gab gerade nach dem Privattelefon auch das Bürotelefon den Geist auf. Es waren keine besonders guten Telefone. Wenn man sie festhielt, knackten die Gehäuse, die Verbindungsqualität ließ zu wünschen übrig und am Ende entluden sich die Akkus innerhalb von wenigen Minuten, was aber wenigstens die Telefonate effizient machte. Ich saß trauernd mit den Dingern in der Küche bis Sara sie mir wegnahm und in den Müll warf.
Ich fuhr dann zu Media Markt, um zwei neue Telefon zu kaufen und in Betrieb zu nehmen. Am Ende muss ich sagen: Dieser Prozess lässt einen Menschen enorm altern. Tatsächlich habe ich gerade das Gefühl, ungefähr 76 Jahre alt zu sein. Es ist nämlich so: Wenn man das letzte Telefon ungefähr 1999 ausgepackt und installiert und sich danach nie mehr um dieses Thema gekümmert hat, ist man fernmeldetechnisch in der Zeit stehengeblieben, während sich die Technik um einen herum dramatisch entwickelt hat.
Dabei fing die Aktion Telefon ganz gut an. Ich stand vor dem Regal mit hunderten von Produkten und ein Verkäufer sprach mich von selber, sozusagen proaktiv an, ob ich Hilfe brauche. Ich erschrak, dann zeigte ich auf ein Modell und sagte: „Das da ist schön.“ Und der Verkäufer antwortete: „Ja, aber das ist scheiße.“ Wirklich wahr. Dann zeigte er mir andere Geräte und verkaufte mir zwei Stück davon. Eines fürs Haus und eins fürs Büro. Zuhause steckte ich das Telefon in die Telefonbuchse, so hat man das 1999 noch gemacht. Man kaufte ein Telefon, steckte es in die entsprechende Dose, hob den Hörer ab und es machte tuut. Mit 425 Hertz. Aber es passierte nichts. Also zog ich die Bedienungsanleitung heran. Sie war sehr dünn, was mir gefiel, bis ich begriff, dass die Hersteller keine kompletten Bedienungsanleitungen mehr mitliefern. Das liegt daran, dass ein normales Telefon heute 23000 verschiedene Dinge kann und das Handbuch dafür ungefähr 900 Seiten umfasst. Die Bedienungsanleitung eines Giga-Set-Telefons ist umfangreicher als ein Roman von Martin Walser. Aber mindestens so spannend.
Wer so ein komplexes Gerät verstehen möchte, wer Mobilteile an der Basis anmelden, IP-Nummern angeben, zwischen Menüebenen wechseln, sich das Wetter in Bad Gastein anzeigen und Nummern zuweisen will, kann sich eine ausführliche Anleitung im Internet runterladen. Oder eine entsprechende App auf seinem Handy installieren. Oder seine Enkel fragen. Ich befinde mich aber leider in der Zwischenphase meines Lebens, in der ich noch keine Enkel habe und aber auch nicht weiß, was ein lokaler Anrufbeantworter an einem CAT-iq-Router sein soll. Ich suchte im Müll nach den alten Telefonen, wischte ihnen den Kaffeesatz vom Display und versuchte eine Mund-zu-Hörer-Beatmung, aber die Dinger hatten ihren Lebensmut verloren und ließen sich nicht mehr einschalten. Also fügte ich mich in mein Schicksal und verbrachte einen kompletten Arbeitstag mit der Installation der „hochwertigen, multifunktionalen und zukunftssicheren Mobilteile, die man an verschiedenen DECT-Basen verwenden kann.“ Dabei will nicht multifunktional leben. Ich will nur telefonieren. Und nicht einmal das will ich in Wahrheit.
Abends fühlte ich mich um Jahrzehnte gealtert und mein Sohn Nick versetzte mir gerontologiemäßig den Todesstoß. Er kam nach Hause, ich zeigte ihm die neuen superschicken Telefone und er sagte: „Wieso kaufst Du noch ein Festnetz-Telefon? Wer braucht denn sowas? Das ist total outdatet, Alter.“ Ja, genau wie ich. Dann passen wir ja gut zusammen, das Festnetz und ich.