520_Kolumnenbilanz
Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kinder, ist die 520. Folge dieser heiteren wöchentlichen Serie und damit sind ganz genau 10 Jahre rum. Die ersten knapp 100 Folgen wurden in einer Zeitschrift veröffentlicht, deren Namen ich leider vergessen habe. Aber so geht es vielen Menschen mit dieser Zeitschrift. Anschließend wechselte ich zur Welt am Sonntag, innerhalb derer ich mehrfach umgezogen bin. Wie im wirklichen Leben.
Erst befand ich mich mittendrin in diesem warmen Papiernest, dreispaltig und quer. Dann bezog ich einen weniger geräumigen Einspalter an der hinteren Außenfassade der zweiten Zeitungslage. Kürzlich bin ich abermals umgezogen. Jedes Mal versichert mir die Zeitung, der neue Platz sei noch viel besser als der alte. Dieser Logik folgend werde ich nach weiteren Umsiedelungen spätestens im Jahr 2030 auf der ersten Seite in der Mitte landen.
Ungefähr fünf Jahre lang gab es die Kolumne ausschließlich auf Papier, seit Folge 248 läuft sie auch im Radio. Das macht meine Arbeit noch abwechslungsreicher, weil ich die Texte seit fünf Jahren nicht mehr nur schreiben, sondern auch sprechen muss. Beides zusammen erzeugt in meinem Inneren ein dauerhaftes Tosen der Doppelbelastung, wie sie sonst nur ein Maurer kennt, der gleichzeitig den Zementmischer bedienen und eine Flasche Pils trinken muss.
Komischerweise interessieren sich überraschend viele Leute für meine Arbeitsumstände. Ich habe sogar schon Bewerbungen von jungen Menschen bekommen, die bei mir ein Praktikum absolvieren wollten. Ich habe immer geantwortet, dass ich bei der Arbeit hauptsächlich dumm aus der Wäsche schaute und man von mir nichts lernen könne, weil ich selbst schon genug damit zu kämpfen habe, die kognitiven Fähigkeiten eines Fischotters zu besitzen. Von mir kann man leider gar nichts lernen, außer, wie man einen Siebträger reinigt. Dennoch gibt es Menschen, die sich für den Vorgang des kolumnierens interessieren. Das lustige Verb stammt nicht von mir, sondern von einem Kabarettisten, der mir mal erzählte, er habe drei Jahre lang für eine Tageszeitung kolumniert. Ich nickte und war eingeschüchtert, weil ich bei solchen Begriffen nie weiß, ob ich gerade veräppelt werde. Ein Hörspielregisseur erklärte mir einmal, er wolle unser gemeinsames Werk im Studio episodal anlegen. Als ich ihn fragte, ob er damit meine, er wolle einzelne Episoden aufeinander folgen lassen, sagte er: „So könnte man es auch ausdrücken.“ Egal. Nun zum episodalen kolumnieren.
Ich kolumniere jeden Dienstag, weil das ein guter Tag dafür ist. Am Montag habe ich keine Lust, am Mittwoch habe ich andere Dinge zu tun, Donnerstags kann ich nicht, Freitags fühlt sich falsch an und samstags ist es zu spät. Ich warte also dienstags, bis alle weg sind, weil ich sonst keine Zeile zuwege bringe. Außerdem möchte ich, dass meine Familie denkt, ich würde ab 8.15 Uhr wie verrückt im Wortsteinbruch Silben klopfen. Wenn auch meine Frau das Haus verlassen hat, mache ich mir einen Kaffee – und gehe wieder ins Bett. Ich lese zwei Zeitungen und setze mich um zehn Uhr an den Schreibtisch. Was dann passiert, darüber kann ich nicht sprechen, es ist viel zu aufregend und streng geheim. Wenn ich es hier preisgeben würde, müsste ich sie anschließend töten. Das ist es nicht wert. Aber mittags gibt es was Leckeres zu Essen.
Danach muss ich wieder arbeiten. Ich bin dabei sehr nachlässig gekleidet. Meist trage ich ein weißes T-Shirt und eine alte weiße Hose, die mir zwei Nummern zu groß ist. Sara findet, ich sehe aus wie ein griechischer Radiologe. Aber das ist nicht meine Absicht. Tatsächlich strebe ich die vollständige Langhansisierung meines Äußeren an. Das graue Haar kommt langsam, aber ich werde an den erforderlichen Locken scheitern. Die weiße Hose ist jedenfalls bequem zum drin schreiben, aber der falsche Aufzug, wenn man dem DHL-Boten hinterherlaufen muss. Dabei winke ich mit der einen Hand und halte mit der anderen meine Hose fest. Wenig später packe ich meine Prokrastinationskäufe aus und mache ein Päuschen. Gegen 18 Uhr bin ich normalerweise fertig. Ich spreche dann die Kolumne fürs Radio in ein Aufnahmegerät und schicke eine Datei in den Bayerischen Rundfunk und eine an die Zeitung. So geht das jetzt echt schon zehn Jahre und hoffentlich immer weiter. Ich liebe diese Aufgabe.