Mein Leben als Mensch — 17.04.2017

523_Ich bin raus

Der Vater als Instanz, als erfahrener Lehrer in den Dingen des Lebens, als eine Art Meister Yoda im familiären Sternenkrieg. So sehe ich mich gerne. Leider betrachten mich meine Kinder ganz anders. Es klafft eine Lücke, was sage ich, ein Graben, eher noch eine Schlucht zwischen meiner Selbstwahrnehmung und der Art, wie meine Kinder mich sehen. Für Nick und Carla bin ich eine schwerhörige, in popkulturellen Dingen abgehängte Schreibmaschine, die ihnen langweilige Ansagen macht und gerne mit ihnen Städtereisen absolvieren möchte. Ich würde ihnen so gerne noch Sachen beibringen. Aber das klappt nicht mehr.
Vor einiger Zeit zum Beispiel stellte mir Nick eine Frage zur französischen Revolution. Ich liebe die französische Revolution. Schon wegen der Klamotten. Und wegen Danton. Also begann ich mit großer Begeisterung alles zu erzählen, was mir noch einfiel. Zum Beispiel fasziniert mich die Tatsache, dass die Regenten der damaligen Zeit unfassbare Ferkel waren. Sie verrichteten ihr Geschäft gerne direkt in den Salons ihrer Paläste, überpuderten ihre Körpergerüche, anstatt sich zu waschen und hatten Zähne wie Gollum. Ebenfalls sehr eindrucksvoll fand ich immer, dass der ermordete Jean-Paul Marat einen sehr coolen Turban in der Badewanne trug. Mein Sohn hörte geduldig zu, um schließlich mitzuteilen, das sei alles interessant, er habe aber nur wissen wollen, wer beim Sturm auf die Bastille eigentlich befreit wurde. Wusste ich natürlich nicht und verwies auf Wikipedia. Das ist ja eigentlich der größte Jammer: Wenn man schon mal etwas beitragen kann, ist es nicht gefragt. Und wenn man gefragt wird, kann man nichts beitragen.
Auch Carla zieht mich nur noch selten heran, wenn sie etwas nicht kann. Neulich hatte sie in der Stadt zwei Studenten gesehen, die in einem Café Backgammon spielten. Das fand sie lässig und fragte mich, ob ich es ihr beibringen könnte. Ich holte das Brett und begann mit einer Einführung in dieses schöne Vergnügen. Ich sagte: „Backgammon ist ein Brettspiel…“ „Ach was!?“ sagte Carla genervt. Ich ignorierte diesen Einwurf und fuhr fort. „Gewonnen hat derjenige, der zuerst keine Steine mehr im Spiel hat.“
„Warum?“
„Weil das Spiel nun einmal so geht. Wer keine Steine mehr hat, der hat gewonnen.“
„Normalerweise müsste man gewinnen, weil man ALLE Steine hat.“
„Willst Du das Spiel trotzdem lernen?“
„Von mir aus.“
Ich baute die Grundstellung des Spiels auf und wollte gerade erklären, in welche Richtung die Parteien auf dem Brett zögen, da unterbrach sie mich wieder und behauptete, ich würde das Spiel total blöd erklären.
„Ich hasse diesen Ton. Ich bin doch kein Kleinkind. Da habe ich gar keine Lust mehr, das dämliche Spiel zu spielen.“
Ich versuchte, Backgammon anders zu erklären, aber ich finde, die Möglichkeiten dafür sind sehr begrenzt. Nach einer Weile sagte ich: „Beide Parteien können mit dem Verdopplungswürfel das Spiel auch früher beenden.“
„Es gibt zwei Parteien?“ fragte sie und ich wusste nicht genau, ob sie mich gerade veräppelte.
„Ja, wie beim Schach. Das ist doch eigentlich klar,“ sagte ich.
„Bei Mensch ärgere Dich nicht gibt es vier Spieler. Warum sollte es dann bei Backgammon nicht auch vier geben“, fragte sie mich. Es ist ein Privileg der Jugend, alles in Frage zu stellen, aber es ist sehr zeitraubend.
„Du kannst Backgammon auch mit vierzig Personen spielen, es wird dann bloß etwas unübersichtlich, sagte ich genervt und sie war beleidigt, worauf wir das Tutorial abbrachen. Abends kam ich aus dem Büro und sah sie mit ihrem Freund Alex am Küchentisch bei einer Partie Backgammon sitzen. Er hatte es ihr beigebracht. Innerhalb von zehn Minuten. Er ist bei ihr ein gefragter Erklärer. Und ich war zum ersten Mal eifersüchtig auf einen anderen Mann im Leben meiner Tochter.

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