Mein Leben als Mensch — 15.05.2017

527_Der Humorrekrut

Unser Sohn besaß schon immer einen fabelhaften Humor, der jedoch wie seine Frisur beängstigenden Entwicklungen unterworfen ist. Er hat sich inzwischen zu einem bösartigen Vierzehnjährigenhumor entwickelt. Dieser befindet sich an der Schnittstelle zwischen normaler Albernheit und fatalistischer Manöver-Laune, die entsteht, wenn Rekruten mit winzigen Klappspaten die Lüneburger Heide umgraben müssen. Auch bei Nick ist eine betrübte Einsicht ins Unvermeidliche zu spüren, bei gleichzeitiger Verächtlichmachung des Schicksals. Dann fügt er sich zum Beispiel in das harte Los, ein Referat über sein Lieblingsthema „Müdigkeit“ vorzubereiten und kündigt an, der ganze zehnminütige Vortrag werde aus mitreißendem Gähnen bestehen. Er werde das Publikum sozusagen einschläfern. Besser könne man Müdigkeit nicht an den Mann und an die Frau bringen.
Nick entwickelt zudem einen Sarkasmus, den es früher bei ihm nicht gab. Da bestanden seine Witze noch aus originellen Sprachspielen. Beispiele: Was ist grün und rennt durch den Wald? Ein Rudel Gurken. Was ist glücklich und grün und springt über die Wiese? Eine Freuschrecke. Sowas in der Art. Doch nun hat eine gewisse Bosheit Einzug gehalten und die Scherzfragen werden gemeiner: Was macht ein Schalker, nachdem er deutscher Meister geworden ist? Er macht die Playstation aus. Wie nennt der Kannibale einen Rollstuhlfahrer? Essen auf Rädern. Auch im Umgang mit seinen Eltern ist er schärfer geworden. Dumme Fragen sollte man tunlichst vermeiden. Sara stellte sich neulich an die Badezimmertür und rief „Duschst Du?“ „Nein, ich übe Posaune“, rief er zurück und ich finde, das war eine ausgezeichnete Antwort. Neulich kam er mir in der Wohnung entgegen und ich sagte den recht einfältigen Satz: „Ich wusste gar nicht, dass Du schon zuhause bist.“ Darauf blickte er erschrocken an sich herunter und rief: „Oh. Ich auch nicht.“
Am Abend der Wahl in Frankreich sah ich mir die Sendung von Anne Will an, was er einen absurden Anachronismus findet, nicht wegen Anne Will, sondern wegen des Fernsehens an sich. In der Runde wurde Gesine Schwan eingeblendet und Nick sagte: „Hey, cool. Thomas Gottschalk.“ Eine halbe Minute später erklärte seinen Fernsehabend für beendet, indem er sagte: „Eine Talkshow über Frankreich – und Franck Ribery ist nicht dabei.“
Aber es gibt auch ernsthafte Themen im Leben unseres Sohnes. Gestern zum Beispiel kam er in mein Büro und setzte sich auf den Besuchersessel, ohne die Zeitschriften und die Post runterzunehmen. Er saß also merkwürdig erhöht vor mir und fragte mich, was es mit der 1000-Schuss-Theorie auf sich hätte. Sein Freund Finn habe im Schulbus davon gesprochen und er frage sich, ob das wirklich stimme, denn dann habe er ein Problem.
Die 1000-Schuss-Theorie besagt, dass ein Mann im Leben genau eintausend Orgasmen erleben kann. Danach ist Feierabend. Mit diesem kruden Unsinn sollten in früheren Zeiten die Jungen vom Onanieren abgehalten werden. Es kann aber auch sein, dass diese Formel vom Verband deutscher Mathematiklehrer erfunden wurde, damit die Jungen mehr Zeit mit Zahlen verbringen. Auf jeden Fall finde ich die Vorstellung sehr amüsant, dass Vierzehnjährige ernsthaft ausrechnen, ob unter Fortführung liebgewonnener Gewohnheiten ihre Familienplanung bereits um Pfingsten herum für immer beendet sein könnte.
Ebenso gut gefällt mir der Gedanke, dass es solche Grenzen auch bei anderen Verrichtungen geben könnte. Jeder Mensch kann nur 500 Fußballspiele gucken, dann wird er blind. Nach 300 Tafeln Schokolade fallen die Zähne aus. Zehn Bier und man ist fahruntüchtig. Man muss sich mal vorstellen, was Menschen unternähmen, um diese grotesken Zahlen zu erhöhen. Der Organhandel blühte wie Raps auf dem Kartoffelfeld. Und die globale Wirtschaft brummte wie verrückt, wenn wir bloß 10000 Lieder hören könnten, bevor die Ohren abfielen. Ich erging mich in dieser Vision und Nick hörte geduldig zu. Dann fragte er: „Also ist das Quatsch?“ „Natürlich ist das Quatsch“, sagte ich und hörte, wie ein Stein von der Größe des Wettersteingebirges von ihm abfiel. Er stand auf und sagte: „Halleluja, der Tag ist gerettet.“ Dann klatschte er fröhlich in die Hände und ging in sein Zimmer.

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