528_Wahlempfehlungen
Die Bundestagswahl wird in diesem Jahr spannend wie nie zuvor. Manche denken, es könne tatsächlich zu einem Machtwechsel kommen, auch wenn es derzeit eher nicht danach aussieht, weil Chultz, wie er manchmal wegen seines rheinichen Idioms genannt wird, gerade chwächelt. Andere finden die Vorstellung aufregend, dass es der AfD gelingen könnte, in den Bundestag zu kommen. Das geht mir auch so. Ich kann mich darüber gar nicht genug aufregen. Aber wirklich bemerkenswert ist das alles nicht, das ist eher politischer Alltag. Spannend ist etwas Anderes: Meine Tochter darf dann zum ersten Mal wählen.
Sie lebt bisher ein herrlich unpolitisches Leben und freut sich, wenn es allen gut geht. Sie möchte, dass bitte alle gesund sind, niemand in Armut leben muss und die Sonne scheint. Wahrscheinlich würde sie die Partei wählen, die Letzteres sicherstellen kann. Das geht aber nicht und daher befasst sie sich seit einiger Zeit mit den personellen und programmatischen Angeboten der deutschen Parteienlandschaft.
Die SPD kennt sie unter anderem aus dem Geschichtsunterricht. Sie weiß um die lange Tradition der Partei, sie kennt sowohl Brandt als auch Schmidt und sogar Gabriel, dessen schöne Stimme sie lobt. Schultz findet sie irgendwie ulkig. Das hängt auch damit zusammen, dass er aus Würselen kommt, einem Ort, den sie wahnsinnig lustig findet. Im Gegensatz zu den meisten meiner Landsleute war ich übrigens schon einmal dort und kann sagen: Würselen ist alles andere als lustig. Jedenfalls mag sie den Schultz, weil er Buchhändler ist. Sie würde ein Buch bei ihm kaufen. Ob sie ihn wählt, weiß sie noch nicht, denn irgendwie ist ihr der Unterscheid zwischen ihm und der Bundeskanzlerin nicht ganz klar. Also politisch jetzt. Wenn sich das, was er will, nicht so richtig von dem unterscheidet, was Frau Merkel will, dann muss man ja nicht wechseln. Carla mag Angela Merkel, ihre Partei hingegen ist ihr suspekt. Diese Meinung ist in ihrer Generation durchaus mehrheitsfähig, denn das Personal der CDU besteht für sie im Wesentlichen aus schlecht gekleideten alten Männern und Peter Tauber. Das ist für sie insofern egal, weil sie die CDU nicht wählen kann, da wir in Bayern wohnen. In Bayern stehen, was die Bundestagswahl angeht, eigentlich nur Außenseiter und Radikale auf dem Stimmzettel. Die CSU zum Beispiel.
Die kommt für Carla gerade nicht infrage, weil sie nicht kapiert, dass sie eine Partei wählen soll, die in Bayern hoch gewinnt, um anschließend in Berlin zwar in der Regierung zu sitzen, dort aber eigentlich das Regieren eher verhindert als ermöglicht. Diese Form der politischen Dialektik ist ihr zu hoch. Sie könnte die Linken wählen, weil sie Sahra Wagenknecht irgendwie spannend findet. Neulich sagte sie, dass Sahra Wagenknecht in einem Film von Tim Burton das geheimnisvolle Kindermädchen spielen könnte. Dann zeigte ich ihr ein Foto von ihrem Mann, worauf sie sagte, dass sie ihren Eindruck revidieren müsse, denn nun sehe sie eher aus wie die geheimnisvolle Altenpflegerin.
Die AfD kommt für Carla nicht infrage, weil sie glaubt, dass sich die Sonne für immer verfinstert, wenn man die wählt. Und das möchte sie auf keinen Fall. Und die Grünen gefallen ihr auch nicht besonders, was ich seltsam finde, weil es ja traditionell eine junge Partei ist. Oder jedenfalls war sie das mal. In meiner Jugend. Gut. Das ist dreißig Jahre her. Carla findet die Grünen einfach stinklangweilig. Punkt. Bleibt noch die FDP, die sie auf Anhieb für eine Parteineugründung hielt. Das fand ich bemerkenswert. Für Carla ist Christian Lindner so etwas wie der deutsche Emmanuel Macron. Aus dem Nichts aufgetaucht und offenbar ohne Partei, die wohl gerade erst entsteht. Carla findet Lindner einen hübschen Burschen. Er erinnert sie an Jude Law. Nicht ausgeschlossen, dass sie deshalb FDP wählt. So einfach geht das heute. Form schlägt Inhalt. Das sollte ein wichtiger Fingerzeig für die anderen Parteien sein. Falls sich Schultz doch noch zurückzieht und den Weg frei macht für – sagen wir Mal – Bruno Mars, wäre die Wahl praktisch gelaufen. Die SPD könnte mit absoluter Mehrheit regieren und bei Staatsbesuchen in Frankreich würden zwei schöne junge Männer vor dem Elysee-Palast Händchen halten. Welch eine Vision für Europa.