Mein Leben als Mensch — 27.06.2017

530_Carla Trump

Manchmal kommt mir mein Familienalltag vor wie der G-7-Gipfel, wo die Regierungschefs aus sechs Ländern den amerikanischen Präsidenten mit einer Mischung aus Entsetzen und Konträrfaszination dabei beobachteten, wie er mit wenigen Worten und Handlungen die Errungenschaften jahrzehntelanger Diplomatie zwischen den Kontinenten zerrieb wie ein Stück Parmesan. Bei uns nimmt Carla diese Rolle ein. Man kann aber nicht sagen, dass deswegen bei uns Sprachlosigkeit oder gespenstische Stille herrschen würde. Gar nicht. Kommunikation ist ja das Salz in der Suppe der erzieherischen Überforderung.
Diese kommt immer dann zur Geltung, wenn Carla, ganz nach Trumpscher Art, neue Regeln aufstellt oder alte Regeln außer Kraft setzt. Sie bringt zum Beispiel den Müll nicht mehr raus, weil dieser sehr, sehr stinke. In diesem Zusammenhang weist sie neulich darauf hin, dass der Schriftsteller TC Boyle gar keinen Müll habe. Er führe einen abfallfreien Haushalt. Daran und an allem, was TC Boyle sonst noch im Leben mache, solle ich mir mal ein Beispiel nehmen.
Gut, mache ich. Nur: Wer trägt jetzt den Müll raus? Carla findet, dass solle jemand erledigen, der viel zu selten draußen sei, also ich. Vielleicht führe es ja zu einer guten Idee, von denen TC Boyle im Gegensatz zu mir viele habe. Also bringe ich den Müll raus, ohne dass mir dabei literarisch verwertbare Gedanken durch den Kopf wandern. Ich finde lediglich, dass der Müll besonders furchtbar müffelt. Vor der Mülltonne angekommen beginne ich damit, die Tüte mit einem Zweig vom Apfelbaum durchzurühren und entdecke eine Lachshaut von beträchtlicher Länge. Sie ist noch von Weihnachten und wurde von unserem Sohn nach dem Essen eingefroren, weil er dachte, dass man sich daraus später mal ein paar Schuhe anfertigen lassen könnte. Offenbar hat Sara sie nun entsorgt. Das wird Ärger geben.
Wieder im Haus konfrontiert mich Carla mit dem Vorschlag, meine Fußball-Dauerkarte nicht mehr zu verlängern. Auf meine Frage, warum ich das machen solle, erklärt sie mir, dass das Geld für so eine Jahreskarte entschieden besser investiert werden könne, und zwar in einen Kühlschrank. Mein schwacher Einwand, dass wir bereits einen Kühlschrank besitzen, kontert sie mit dem Argument, dass sie persönlich aber keinen habe und gerne in ihrem Zimmer gekühlte Getränke und Nachspeisen aufbewahren würde. Es würde ihr lange Wege ersparen.
Ich will sie nicht gleich mit der Ablehnung ihrer Idee traumatisieren und führe ins Feld, dass ich nun einmal gerne ins Stadion ginge und darauf auch nicht verzichten wolle. Darauf sie: „Du bist jetzt zehn Jahre lang zum Fußball gelatscht, jetzt bekomme ich mal für zehn Jahre einen Kühlschrank.“ Darauf muss man überhaupt erst einmal kommen. Erstaunlicherweise führt Carla diese Diskussion mit biblischem Ernst. Was tun in einer solchen Situation? Vogel zeigen? Gegenhalten? Ich biete ihr einen Kompromiss an und verspreche ihr die Anschaffung eines Kühlschranks, wenn sie eines Tages auszieht. Seltsamerweise ist sie damit sehr zufrieden. Sie holt sich einen Pudding aus der Küche und setzt sich auf die Couch, um ein neues Thema aufzumachen. Es geht nun um die Sinnlosigkeit von Mathematik.
Diesbezüglich hätte ich ihr vor dreißig Jahren sogar Recht gegeben. Damals erschien mir dieses Schulfach als völlig erratische Zeitverschwendung. Mit den Jahren habe ich aber meine Meinung geändert. Ich glaube heute, dass Mathematik der Schlüssel zum Verständnis der Welt ist, auch wenn ich nicht mehr davon verstehe als damals. Und ich weiß auch nicht genau, wie so ein Algorithmus funktioniert. Aber ich meine, dass unser Leben weitgehend von der Mathematik bestimmt und gelenkt wird. Das ist beunruhigend genug und wahrscheinlich wäre es ganz praktisch, wenn wenigstens die jungen Menschen etwas davon verstünden. Schon damit sie sich wehren können. Carla sieht das aber anders.
Ich erzähle ihr, dass wir vor dreißig Jahren im Mathe-Unterricht unsere Taschenrechner nur sehr begrenzt benutzen durften. Unser Mathelehrer sagte damals: „Später im Leben, da habt ihr auch nicht ständig einen Taschenrechner dabei. Wer hat schon immer so ein Ding zur Hand?“ Carla hört lächelnd zu und dann sagt sie genüsslich: „Tja, da haben sie Euch aber damals sauber verarscht.“ Hm. Blöd. Wo sie Recht hat, hat sie Recht.

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