Mein Leben als Mensch — 27.06.2017

533_Ein Alptraum

Wieder Diskussionen mit Carla gehabt. Sehr anstrengend gewesen. Daher früh geschlafen und in der Nacht aus einem Traum hochgeschreckt, in dem meine Tochter mich entmachtet und die Hoheit über diese Kolumne übernommen hat. Sie hat einfach sämtliche Passwörter am Rechner geändert, ich habe keinen Zugriff mehr und sie schreibt meine Texte. Und zwar so, wie sie das gerne möchte. Ich kann in diesem Traum nichts dagegen unternehmen, denn sie erpresst mich mit Herrschaftswissen über meine Schokoladensucht.
Sie ist jederzeit dazu in der Lage, brisante Informationen an Sara weiterzugeben. Dann wäre es vorbei mit meinem vorbildhaften Nimbus als joggender Asket. Carla hat mich nämlich im Traum erwischt, wie ich bei meinem täglichen Morgenlauf in einer Konditorei eingecheckt habe, um dort einen Eiskaffee und ein Stück Kuchen zu frühstücken. Sie stand einfach plötzlich an der Scheibe und hat mich angesehen wie ein Staatsanwalt, der eine Schweizer Steuersünder-CD in seinen Rechner schiebt.
Jedenfalls weiß sie Bescheid, erzwingt bei mir die Herausgabe aller Passwörter und bemächtigt sich meiner Kolumne, in der es anschließend nur noch um feministische Anliegen geht. Wochenlang veröffentlicht sie in meinem Namen erbitterte Traktate gegen die Begriffe „Mannschaft“ und „Herrenzimmer“. Sie fordert einen Umschnalldildo für Barbie, um das Patriarchat des widerlichen Machos Ken zu beenden. Sie verlangt in einem besonders kämpferischen Text, dass in sämtlichen öffentlich zugänglichen Gebäuden Deutschlands mindestens zwölf verschiedene Toiletten für die allerwichtigsten Geschlechtsidentitäten angeboten werden. Sie bezeichnet Politiker und Wirtschaftsführer namentlich als Schwanzträger und wirbt für die Abschaffung des Wahlrechts für sämtliche Männer, die schon einmal einen Blondinenwitz erzählt haben. Besonderes Interesse erregt eine Kolumne, in der sich meine Tochter bitter darüber beschwert, dass Frauen dafür angefeindet werden, wenn sie in der Schwangerschaft rauchen, während Männer von solcher Kritik vollkommen unbehelligt bleiben. In Carlas Kolumnen wimmelt es nur so von Doppelformen und Doppelforminnen, von Schrägstrichen/innen, von Klammern, Gendergaps, Gendersternchen, Binnenmajuskeln und Binnen–Is. Und das hat natürlich Folgen.
Es hagelt Leserbriefe und ich verbringe mein Leben in einem einzigen riesigen Shitstorm. AfD-Anhänger verlangen meine öffentliche Auspeitschung, eine Rockergang aus Niedersachsen bietet an, mich mehrere Kilometer über die Autobahn zwischen Hannover und Bremen zu schleifen, damit ich Vernunft annehme. Im Straßenverkehr wird mir plötzlich auffallend oft die Vorfahrt genommen und der Mann von der Tankstelle fragt mich, ob ich auch Kaugumminnen brauche.
Es kommt aber auch Zustimmung. Ein feministisches Metzgerinnenkollektiv aus Oberursel möchte eine Wurst nach mir benennen und ich erhalte mehrere Partnerschaftsangebote von Damen, die in mir einen geeigneten Kandidaten für eine geschlechtergerechte Beziehung sehen. Nach wenigen Wochen gelte ich als Vorreiter eines neuen modernen Feminismus und muss daher ins Fernsehen, wo ich aus Angst vor meiner Tochter erbittert sämtliche Thesen vertrete, die sie in die Zeitung und ins Radio genagelt hat. Dafür bekomme ich bei „Hart aber Fair“ von einem maskulinen Aktivisten eine Torte ins Gesicht und von Alice Schwarzer das Angebot, ein Praktikum bei der „Emma“ zu absolvieren. Bevor ich es annehmen kann, wache ich auf und es ist die Sorte Traum, bei der man eine Weile braucht, um zurück in die Realität zu finden.
Ich liege dann lange wach und schlafe wieder ein, kurz bevor der Wecker klingelt. Ich mache den Kindern ihr Frühstück, ziehe mich um und gehe Laufen. Noch völlig benommen von meinem Alptraum erreiche ich die Konditorei, japse zur Begrüßung meine Bestellung und komme erst wieder richtig zu mir, als Eiskaffee und Kuchen vor mir stehen. Ich habe gerade die erste Gabel im Mund als vor dem Fenster plötzlich meine Tochter auftaucht. Sie sieht mich mit den Beweismitteln, lächelt böse und nickt langsam. Seitdem bin ich in Panik.

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