Mein Leben als Mensch — 31.08.2017

536_Gipfelkrise

Natürlich darf jeder auf seine Weise protestieren. Jedenfalls solange der Protest friedlich bleibt und als solcher zu erkennen ist. Insofern war der G20-Gipfel in Hamburg sehr lehrreich, denn die Form der dort absolvierten kapitalismuskritischen Auseinandersetzung war zumindest teilweise nur schwer vermittelbar. Selbst gute Erklärer des Vorgangs können kaum darlegen, was der Ford Fiesta von Oma Klawuppke aus Altona mit dem internationalen Schweinesystem zu tun hatte und warum ihres und viele weitere Autos unbedingt brennen mussten. Bei den in einem Autohaus angezündeten Porsches könnte man ja noch argumentieren, dass diese Autos symbolisch für eine gewisse Distanz ihrer Besitzer zur gesellschaftlichen Mehrheit stehen. Sie stehen allerdings aber auch für ausgezeichnetes Design und fabelhafte Fertigungsqualität und drängen sich daher nicht für ihre Zerstörung auf. Der Protest war jedenfalls nicht wirklich schlüssig und Menschen, die Grillanzünder auf Autoreifen legen, sind keine Erleuchteten, sondern Armleuchter.
Dabei hatte der Donnerstag so nett angefangen. Ich frühstückte in einem Hamburger Hotel. Der Staatsschutz kam in Gestalt zweier aus Hessen delegierter Beamter vorbei und fragte, warum ich in der Stadt sei. Ich antwortete und erkundigte mich, für wessen Schutz sie am Ort seien. Da sagte der kleinere der beiden Staatsschützer im melancholischsten hessisch, das man sich nur vorstellen kann, sie bewachten die mexikanische Delegation, die im selben Hotel wohne. Und dann fügte er traurig hinzu: „Abä Mexigo, da indresierd sisch kei Mensch für.“
Wesentlich größer war das Indresse für den amerikanischen Präsidenten. Das weiß ich deshalb so genau, weil ich am Nachmittag gleichzeitig mit ihm am Hamburger Airport war. Nur wenige hundert Meter trennten uns voneinander. Er hat mich vermutlich nicht gesehen. Ich ihn aber schon. Jedenfalls auf dem Fernseher im Flughafen. Das Flugzeug, mit dem ich nach Hause wollte, durfte seinetwegen nicht starten. Überhaupt niemand durfte starten, als die Air Force One im Anflug war, der ganze Luftraum über Hamburg war gesperrt. Vermutlich ist die Luftverdrängung durch den Präsidenten so enorm, dass alle anderen Flugzeuge taumeln und vom Himmel fallen, wenn er anfliegt. Im Fernsehen konnte man dann beobachten, wie er aus seiner Maschine stieg und von Bubi Scholz, dem Hamburger Bürgermeister, begrüßt wurde. Donald Trump machte dann eine ausladende Handbewegung und für einen Moment sah es so aus, als würde er Scholz willkommen heißen und nicht umgekehrt. Dann flog er mit seinem Helikopter in die Stadt und ich durfte ins Flugzeug einsteigen.
Es war ein gutes Gefühl, mit zweieinhalbstündiger Verspätung, aber bei völliger Abwesenheit von Spitzenpolitikern in München auszusteigen und nach Hause zu fahren. Ich freute mich aufs Abendessen, es gab nämlich Nudelauflauf und ich finde, jeder Mensch auf dieser Welt sollte ein Recht auf den Nudelauflauf meiner Frau haben. Es ist Schinken darin, was für Moslems und Vegetarier einen gewissen Hinderungsgrund am Genuss darstellt, aber dann ist eben mehr für die Anderen da. Ich öffnete zuhause die Tür, ließ mein Gepäck fallen und lief mit ausgebreiteten Armen Richtung Küche.
Der Tisch war abgedeckt, in der Spüle stand die Auflaufform. Leer. Nicht einmal ein einziges Nudelatom war darin zu sehen. Sara, Nick und Carla saßen vor dem Fernseher und sahen sich Sondersendungen zum G20-Gipfel an. Gerade huschte der mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto gutgelaunt durch Bild, wahrscheinlich satt, möglicherweise Nudelauflauf. Ich fragte, was mit dem Essen sei und Sara erklärte mir, man habe wirklich lange auf mich gewartet und dann gegessen, in der Annahme, dass ich auf der Reise etwas zu mir nehmen werde. Und nein, es sei nichts mehr da, denn es sei sehr lecker gewesen.
Diese Sattheit, dieses saturiert und im Schnitzelkoma völlig ignorant und mitleidlos auf der Couch Rumgehänge machte mich wütend. Ja, Hauptsache, sie hatten Nudelauflauf bekommen. Mein Schicksal war ihnen völlig schnuppe. Ich dachte kurzfristig darüber nach, irgendein Auto anzuzünden, beließ es aber dann bei einer Zigarette. Ich aß dann ein Käsebrot und schmiede seitdem Pläne gegen das Schweinesystem bei mir zuhause.

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