Mein Leben als Mensch — 31.08.2017

538_Die Zeitmaschine

Manchmal wache ich auf und möchte mir etwas kaufen, denn die eine oder andere Anschaffung setzt dem Alltag ein kleines Krönchen aus Schlagsahne aufs graue Haupt. Also kaufte ich mir zuletzt einen Plattenspieler, und zwar einen ganz legendären, den es länger nicht gab, nun ist er aber wieder im Handel. Sara behauptete, ich würde gar keine Platten mehr hören und das stimmte ja auch, aber es lag nur daran, dass ich seit Jahren kein Abspielgerät mehr besaß. Aber Platten. Die meisten habe ich verkauft oder verschenkt, doch ungefähr 1500 besitze ich noch und nun ist die Zeit reif, sie zu hören. Und zwar Alle.
Ich zog ganz willkürlich drei Platten aus dem Regal und lud die Kinder ein, sie mit mir zu hören. Und zwar ganz. Am Stück. Wie man das eben früher gemacht hat. Zuerst „Live“ von Bob Marley & The Wailers. Die ist von 1975 und ich kaufte sie 1982 bei einer Familienreise in London. Ich erinnere mich daran, dass neben mir im Plattenladen ein Mann mit Dreadlocks durch das Angebot blätterte und ich ihn minutenlang anstarrte, denn es war meine erste Begegnung mit einem Schwarzen. Ich habe diese Platte immer sehr gemocht und sie klingt nach wie vor frisch und beseelt. Die Musiker darauf sind ganz fantastisch. Sie pluckern und rattern durch die Songs wie eine gut geölte Nähmaschine. Außerdem ist die Songauswahl großartig und „I shot the Sheriff“ gehört sicher zum Kanon der Lieder, die man kennen muss. Carla mochte Bob Marley auch und stellte sich parallel am Handy eine Playlist zusammen. Nick hingegen machte den doofen Reggae-Witz: „Was sagt der Rastafarian, wenn er nichts mehr zum Kiffen hat?“ „Boah, kann endlich mal einer diese Scheißmusik ausmachen?“
Die zweite Schallplatte, die ich aus dem Regal zog, war „Watch“ von Manfred Mann’s Earth Band. Ich vermute mal, dass ich das Cover als Junge super fand. Darauf ist ein Mann im Anzug zu sehen, der über ein Rollfeld auf einen wolkenverhangenen Himmel zustürmt und offenbar im nächsten Moment abheben wird. Heute sieht das sehr nach Kunst-Leistungskurs in den Siebzigern aus. Diese Platte ist wirklich entsetzlich. Kein Lied ohne episches Solo, entweder von einer mitleidlosen Gniedelgitarre oder dem Keybord-Arsenal des Bandleaders. Wenn es mal vielversprechend anfängt wie in „California“ wird das Lied weiter hinten von der Todesschwadron aus Sologitarre und Syntesizer erdolcht. Dabei entfaltet die Platte nie auch nur annähernd denselben Charme wie die damalige Charts-Konkurrenz. Alan Parsons war kreativer, Pink Floyd waren größer und Supertramp lustiger. Trotzdem zogen wir es durch und als die Nadel in die Auslaufrille rutschte sagte Nick: „ Wenn das so weitergeht, lasse ich mich freiwillig enterben.
Ich legte Platte Nummer drei auf: „Tubular Bells“ von Mike Oldfield. Die erste Schallplatte, die je bei Virgin Records erschienen ist, von Oldfield mit 20 Jahren im Alleingang 1973 aufgenommen. Ich hatte die größten Befürchtungen, weil da niemand singt und schon gar nicht rappt. Es gibt keinen Beat zum Mitklatschen und überhaupt bloß einen einzigen Song von 48 Minuten Länge. Nick verließ unter Protest das Wohnzimmer und kündigte an, erst zurückzukommen, wenn der Plattenspieler wieder abgeschafft sei. Aber Carla legte sich auf den Fußboden, sah an die Decke und hörte zu. Ich legte mich daneben und wir hüllten uns ein mit dieser merkwürdig eiernden und völlig aus der Zeit gefallenen Musik. So wie früher. Für unsere nächste Session kaufe ich eine Packung Räucherstäbchen. Und dann hören wir Santana.