Mein Leben als Mensch — 31.08.2017

539_Der Joghurtdieb

Wieso ist mein Lieblingsjoghurt immer sofort weg, wenn ich ihn gekauft habe? Ich bringe ihn vom Einkaufen mit, stelle ihn in den Kühlschrank und wenn ich mich zwei Mal umgedreht habe und den Kühlschrank öffne, ist der Joghurt verschwunden. Ich habe bereits die Möglichkeit erwogen, dass der Kühlschrank den Joghurt verzehrt. Für diese Theorie spricht, dass es so schnell geht. Dagegen spricht, dass ich die leeren Becher anschließend bei unserem Sohn Nick einsammele. Ich glaube nicht, dass der Kühlschrank sie dorthin bringt. Sein Kabel ist dafür nämlich nicht lang genug. Aber Nick bestreitet jede Tatbeteiligung.
Doch ich glaube ihm nicht, weil er beim Leugnen lächelt wie Pennywise, der böse Clown. Es kann eigentlich nur so sein, dass Nick den Moment abwartet, in dem ich Briefe öffne oder meine Jacke aufhänge. Dann geht er in die Küche, bemächtigt sich meines Joghurts und verschwindet damit in seiner Höhle. Gut. Oder Carla. Um ihre Spuren zu verwischen, bringt sie die leeren Becher anschließend in sein Zimmer. Theoretisch möglich, aber für so viel Aufwand fehlt ihr wirklich die Energie. Es ist mir jedenfalls bisher nicht gelungen, einen von ihnen beim Diebstahl köstlicher Molkereiprodukte zu erwischen, was eigentlich kein Problem darstellen sollte, weil beide keine talentierten Schleicher sind. Eigentlich scheppert immer irgendwas, wenn sie im Haus unterwegs sind. Besonders Nick stößt sich oft an Türrahmen oder Möbeln und flucht dann laut. Eigentlich komisch, denn Türrahmen und Möbel bewegen sich ja ihrerseits nicht. Sie tauchen nicht plötzlich vor einem auf. Man weiß im Grunde, wo sie sich befinden und kann um sie herumgehen. Trotzdem stellen Einrichtungsgegenstände für Nick gefährliche Hindernisse dar, was vielleicht daran liegt, dass er beim Gehen meistens nicht nach vorne, sondern nach unten guckt, wo das Handy-Display ist.
Jedenfalls weiß ich nicht, wie und warum und durch wessen frevelhafte Hand mein Joghurt verschwindet. Aber wer auch immer dafür verantwortlich ist, legt eine herausfordernde Chuzpe an den Tag. Als ich einmal nach altem WG-Brauch eine Haftnotiz mit den Worten „Finger Weg!!!“ an den Becher klebte, wurde dieser trotzdem entnommen und der Zettel umgeklebt. Auf ein Glas mit Schweinskopfsülze, dass ich vor drei Jahren von einer schwäbischen Buchhändlerin geschenkt bekam und das noch nie ein Mensch angerührt hat.
Neulich habe ich mich versteckt und vorher laut gerufen, dass ich wieder dahaa sei. Aber das führte zu nichts. Ich harrte dreißig Minuten in der Speisekammer aus, bis ich bemerkte, dass ich alleine zuhause war. ich schämte mich für mein Misstrauen und mähte den Rasen. Zwischendurch kam der Rest der Familie heim und als ich eine Stunde später den Kühlschrank öffnete, um Wasser herauszuholen, war der Joghurt verschwunden. Angeblich hatte niemand davon etwas mitbekommen.
Inzwischen glaube ich, dass Nick das Zeug nicht isst, weil es ihm schmeckt, sondern, weil er mich damit ärgern kann. Man muss das einfach mal so festhalten: Pubertiere lieben es, arme Väter zu ärgern, sie auf Unzulänglichkeiten bei der Bekleidung, auf Nasenhaare und schlechten Musikgeschmack hinzuweisen, die Batterien aus der Fernbedienung zu klauen und den Lieblingsjoghurt des Erziehungsberechtigten zu verspeisen. Höchstwahrscheinlich mag er den Joghurt überhaupt nicht. Er verabscheut ihn regelrecht, aber er muss seinem Auftrag gerecht werden. Dieser Gedanke gefiel mir so gut, dass ich Gestern zwanzig Stück davon kaufte. Abends waren sie weg. Und zwar alle. Das gönne ich dem Kerl!