548_Medien-Diät
Hatte gerade ein Problem mit Medien. Ich fühlte mich übersättigt, vollgestopft und aufgebläht vom allgemeinen Nachrichtengetrommel. Dies führte am Donnerstag dazu, dass ich entschied, eine Medien-Diät einzulegen. Bis auf Weiteres keine Tageszeitung mehr, auch keine Wochenzeitung. Kein Internet samt Facebook. Keine E-Mails. Keine iPhone-Spiele, kein Fernsehen, kein Radio, kein gar nichts. Auch nicht im Auto. Und zwar für eine lange Zeit. Mindestens für zwei Tage. Sara sagte, das sei in etwa so, als zöge sich ein Goldfisch selber den Stöpsel aus der Badewanne. Nick bot eine Wette an: Wenn ich zwei Tage auf alles verzichtete, was ich mir normalerweise medial zuführte, ginge er im Gegenzug eine ganze Woche lang drei Mal täglich mit dem Hund raus. Ich müsse halt bloß einen Hund kaufen.
Nach dem Frühstück lese ich normalerweise die Zeitung. Und manchmal noch eine online und vielleicht in einem Magazin. Nun jedoch strich ich zunächst ziellos und nichtsnutzig im Haus herum. Dann machte ich meiner Frau Vorschläge zur Restrukturierung ihres Arbeitsalltages. Diese wurden abgelehnt und als ich damit begann, Formulierungsvorschläge für die Beantwortung ihrer Mails zu machen, klappte sie ihren Rechner zu und verbot mir, über ihre Schulter in den Bildschirm zu gucken. Das sei Mediennutzung und ginge gar nicht.
Ich setzte mich an den Schreibtisch und begann damit, einen Text zu überarbeiten. Manchmal muss man dabei recherchieren. Zum Beispiel ob das Ballett von Léo Delibes „Coppélia“ oder „Ophelia“ heißt. Normalerweise wird sowas rubbeldikatz gegoogelt und dann geht eine Dreiviertelstunde Arbeitszeit dafür drauf, sich das Ganze bei Youtube als Aufführung einer angetrunkenen gemischten Saunabesatzung aus Helsinki anzusehen. Aber ich war ja auf Diät. Sara sagte, ich solle im Lexikon nachschlagen, doch leider habe ich Meyers Taschenlexikon beim Umzug entsorgt, weil man heute alles im Internet findet. Ich rief also Freund Georg an und der sagte, erstens hieße es „Coppélia“ und zweitens könne man das googeln und müsse dafür nicht hart schuftende Journalisten von der Arbeit abhalten. Den Rest des Tages verbrachte ich mit Tätigkeiten, die keine Internet-Recherche erzwingen: Ich sortierte Socken, tanzte im Wohnzimmer zur Freude meiner Gattin den zweiten Akt von Coppélia und erzählte meiner Tochter die Handlung von „Blade Runner“, Teil eins. Ich bemühte mich, dafür genau so lang zu brauchen wie der Film dauert, den ich ihr ja leider nicht zeigen durfte. Sie war mäßig begeistert von meiner Schilderung, jedenfalls schlief sie darüber ein.
Der zweite Tag war noch schlimmer als der erste. Sara hatte den Radiowecker auf nervendes Piepen umgestellt, damit ich nicht einmal ein winziges bisschen Nachrichten hören konnte. Und sie ließ mich den ganzen Vormittag nicht aus den Augen, behauptete sogar, dass die Bedienungsanleitung einer Schallzahnbürste ebenfalls ein Medium sei und nahm sie mir weg. Am Nachmittag begleitete ich Nick zum Kieferorthopäden, weil dort im Wartezimmer immer der „Stern“ rumliegt. Aber die Rechnung ging nicht auf, denn mein Sohn nahm den „Stern“ sowie die „Bravo“, „Medizini“ und „Bob der Baumeister“ lächelnd mit ins Behandlungszimmer. Er überließ mich dem Anblick eines Jungen, der mir gegenübersaß und ein Gebiss hatte wie der Weiße Hai.
Dann gingen wir einkaufen und meine Versuche, dem Regal mit den Zeitschriften nahe zu kommen, torpedierte mein Sohn mit Suchaufträgen, die mich bis in entlegene Gegenden der Feinkost-Abteilung und zu abstrusen Wurstkonserven führten, während Nick Autohefte durchblätterte und darauf achtete, dass ich nicht eine einzige Überschrift des Presse-Sortiments zur Kenntnis nahm. Abends waren die zwei Tage quasi rum. Ich musste bloß noch eine Nacht überstehen, was mir nur gelang, weil ich nachts immer schlafe. Und gestern morgen durfte ich dann wieder Alles haben. Ich las die Zeitung, ich checkte Mails und die Nachrichten -Portale und schaute bei Facebook rein. Das wirklich Schlimme daran ist die Feststellung, dass man überhaupt gar nichts versäumt hat. Und trotz dieses traurigen Befundes war ich froh, wieder zurück im Mediengetöse zu sein. Es ist zu nichts gut, aber ich brauche es. Wahrscheinlich sind das Anzeichen einer Sucht. Medien sind Drogen.