Mein Leben als Mensch — 21.11.2017

553_Die Küchenfrage

Zu den größten Fragen der Menschheit gehören in aufsteigender Reihenfolge ihrer Brisanz die folgenden drei: Was unternehmen wir gegen die Spaltung der Gesellschaft? Wie stoppen wir den Klimawandel? Und was sollen wir heute Abend essen? Die dritte Frage ist auch deshalb so enorm relevant, weil sie praktisch täglich gestellt wird, während man über den Klimawandel nur zwei bis dreimal wöchentlich nachdenkt.
Zuletzt hat die ewige Wiederkehr der Essensfrage bei meiner Frau einen gewissen Verdruss ausgelöst. Wie in vielen Familien ist das Kochen irgendwie und irgendwann – vermutlich ganz am Anfang – weitgehend bei ihr hängen geblieben. Wobei ich auch kochen kann, es mir aber selten einfällt. Ich beteilige mich dafür auf andere Arten im Haushalt. Zum Beispiel bringe ich Kastanien vom Spazieren gehen mit, denke viel nach und arbeite daran, den Pfandautomat bei REWE zu überlisten und unsere leeren Weinflaschen zu Geld zu machen. Da kann ich nicht auch noch kochen.
Also muss Sara die Essensfrage ständig neu stellen und meistens auch selber beantworten. Unsere Kinder sind da nämlich nicht sehr konstruktiv. Carla beantwortet die Frage, was sie essen wolle dahingehend, dass es ihr egal sei, aber es dürfe nichts sein, was vier Beine habe. Dies lässt immer noch eine Menge zu, theoretisch sogar Schweine, Kühe und Lämmer, jedenfalls wenn der Koch unter einer staatlich anerkannten Rechenschwäche leidet.
Auch Nick reagiert für das mütterliche Gemüt wenig erbaulich, denn er will im Grunde immer Nudelauflauf essen. Und wenn ich gefragt werde, habe ich angeblich unrealistische Wünsche. Wobei ich mich frage, was an einem Sorbet von Pinienkernmilch, einer zünftigen Portion Seeteufelleberscheiben und einem gekühlten Kardamon-Toffee-Schaum unrealistisch sein soll. Jedenfalls fühlte Sara sich im Stich gelassen und vor kurzem platzte ihr der Kragen und sie kochte gar nichts mehr, was den Unfrieden eher vergrößerte. Carla wies sofort auf ihre Rechte hin. Dazu gehöre die komplette Verköstigung bis zum Tage ihres Auszuges. Mindestens zwei Mahlzeiten täglich stünden ihr per Gesetz zu.
Aber Sara gab sich bockbeinig und erklärte, sie trete in Streik, bis ihr die nötige Wertschätzung entgegengebracht werde. Also schlug ich vor, den Küchendienst gerecht zu teilen. An zwei Tagen in der Woche würde ich kochen, an zweien sei Sara dran, Nick müsse einmal an den Herd, Carla auch. Und sonntags gingen wir gemeinsam aus. Komischerweise akzeptierten alle diese Regelung, was daran lag, dass ich den Begriff „Kochen“ nicht richtig spezifiziert hatte. Bei Carla bedeutet er nämlich nicht unbedingt, dass man etwas zubereitet, sondern dass es was zu essen gibt. Als sie das erste Mal dran war, beauftragte sie folgerichtig einen Lieferdienst mit der Zubereitung asiatischer Speisen, die von einem schlecht organisierten Abiturienten in einer grünen Plastiktüte gebracht wurden und zwar erstens weitgehend vermischt, zweitens deutlich nach zweiundzwanzig Uhr und drittens gut gekühlt.
Sara kochte an ihren Tagen, was sie immer kocht, ich probierte Rezepte meiner Mutter aus und der einzige, der aus der Regelung wirklich etwas gemacht hat, ist Nick. Ich freue mich sehr, wenn er einmal pro Woche an der Reihe ist. Seine Rezepte bezieht er aus der Super-Illu, dem Zentralorgan für Lifestyle hinterm Mond. Das Magazin liegt komischerweise im Schulsekretariat aus, in welches unser Sohn mehrmals pro Woche aus disziplinarischen Gründen muss. Er bringt von dort herrliche Menüs mit nach Hause. Gestern war wieder sein Tag. Er gab den Einkauf der Zutaten bei mir in Auftrag und ich wunderte mich zwar, aber keiner darf sich bei einem anderen Familienmitglied einmischen. Außerdem war ich ja froh, dass er kochte. Er benötigte unter anderem ein ganzes Bauernbrot, drei Eier, ein halbes Kilo Sauerkraut, 50 Gramm Butterschmalz und 700 Gramm Bratwurst, sowie Milch und ausreichend Sahne. Am Ende gab es Bratwurst-Torte. Man braucht ungefähr drei Tage, um dieses Gericht zu verstoffwechseln. Danach kann man die inneren Organe mit leichter Brühe und etwas gedünstetem Gemüse langsam wiederaufbauen. Sara hat angekündigt, bis auf Weiteres wieder zu kochen. Es ist für Alle besser so.

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