
Drachensaat
Mein dritter Roman. Ich habe mit Unterbrechungen zehn Jahre lang daran gearbeitet. Kern des Buches waren zunächst die Biografien der Hauptpersonen, die aber nur vage miteinander verknüpft waren, in etwa wie bei dem Film „Short Cuts“ von Robert Altman. Es handelte sich eher um eine Sammlung von Kurzgeschichten, der Arbeitstitel hieß „Lauter nette Leute.“ Gleichzeitig arbeitete ich an einer modernen Version der Drachensaat-Episode aus der griechischen Argonauten-Sage. Ich finde, dass sie eine wunderbare Metapher für die heutige Zeit darstellt. Erst nach Jahren bemerkte ich, dass ich eigentlich auf unterschiedlichen Ebenen an ein und demselben Buch schrieb.
Den Anstoß für „Lauter nette Leute“ gab übrigens ein Kölner Verleger, der mich Ende der Neunziger einmal anschrieb und fragte, ob ich nicht Lust hätte, ein Buch zu schreiben. Er fragte nach Arbeitsproben und ich schrieb an einem Wochenende vier Kurzgeschichten. Aus einer dieser vier Kurzgeschichten wurde später „Gibt es einen Fußballgott?“ Die drei anderen bildeten die Basis für „Lauter nette Leute.“ Das war zum einen die Geschichte über den Mann, der mit seinem Sohn ins Bordell geht und zum anderen die Episode über die Frau, die mit ihrem Kopf Radio hören kann. Die vierte Geschichte handelte von einem Geschäftsmann, der ein Reh überfährt und sich mit ihm anfreundet.
Obwohl aus der Zusammenarbeit mit dem Kölner Verleger nichts geworden ist, weil er sich nie mehr gemeldet hat, nachdem ich ihm die Geschichten geschickt habe, bin ich ihm heute sehr dankbar. Ohne ihn hätte ich die „Drachensaat“ vielleicht nicht geschrieben.
Der Roman schildert in drei Teilen das Schicksal ausgegrenzter Menschen, die eines Tages einen Topmanager entführen um so auf ihre Situation aufmerksam zu machen und nebenbei die Gesellschaft zu verändern, die sie krank gemacht hat. Es handelt sich um eine Satire über ein zutiefst tragisches Thema. Trotzdem lachen die Leser. Ich finde, dass sich das nicht ausschließen darf.
Im ersten Teil werden zunächst die Lebensgeschichten der Entführer – der „netten Leute“ aus dem frühen Arbeitstitel – geschildert. Der zweite Teil gehört den Beschreibungen des Entführten und liest sich in Duktus und Haltung völlig anders als der erste. Im dritten Teil habe ich eine Art fiktionale Collage verwendet, um die Medienberichterstattung über den Fall darzustellen. Dabei erfährt der Leser sämtliche Hintergründe des Falles, einige lose Fäden aus den ersten beiden Teilen verbinden sich erst im dritten Teil letztlich zu einer geschlossenen Geschichte.
Nachdem das Buch fertig war, bekam ich Streit mit meiner Lektorin Ulrike Beck, weil sie es für zu lang hielt. Es hatte weit über 500 Seiten und ich fand das eigentlich noch zu kurz. Ich hatte mich auf den Irrglauben eingelassen, dass möglichst lang auch möglichst anspruchsvoll bedeute. Dass die Länge eines Buches in Wahrheit nicht viel über dessen Qualität aussagt, ist eine Binse, die im deutschen Kulturbetrieb noch nicht richtig angekommen ist. Und auch ich war davon überzeugt, dass die „Drachensaat“ möglichst dick, lang und schwer zu sein habe.
Ulrike Beck strich 170 der 530 Seiten, worauf ich wütend 100 wieder hineinredigierte, was sie wiederum zuviel fand. Dann kam es zu besagtem Streit. Letztlich einigten wir uns auf 400 Seiten. Ich bin rückblickend sehr froh darüber, dass „Drachensaat“ nicht tatsächlich 600 Seiten lang ist, das wäre viel zu viel, die Leichtigkeit würde dem Buch abhanden kommen.
Das Buch basiert auf einem riesigen Wust von Quellen, Hintergründen und Inspirationen, die ich im Laufe der Jahre gesammelt habe. Sie alle einzuscannen oder aufzulisten, wäre viel zu viel Arbeit. Wenn ich mal überhaupt gar nichts sonst zu tun habe, mache ich es vielleicht.
Lange war eine Verfilmung im Gespräch, seit einiger Zeit interessiert sich jemand für eine Umsetzung am Theater. Das wäre spannender als ein Film, glaube ich.
Auch erhältlich als Hörspiel-CD.